Mythen rund um die Edelweiß-Blume
Edelweiß, Königin der Berge, der ewige Mythos. Servus-Expertin Miriam Wiegele über uralte Märchen, moderne Forschungserkenntnisse und hochalpines Glück in einem burgenländischen Garten.\u00a0
Hoch droben, wo nach den Felsen nur noch die Gletscher zu finden sind, lebte einst eine Jungfrau, deren Herz aus Liebeskummer zu Eis gefroren war. Einige stattliche junge Männer machten sich auf, diesen Berg zu besteigen. Doch kurz vor dem Ziel stürzten sie ab. Der Eisjungfrau schmolz vor Mitgefühl der Panzer um ihr Herz. Sie begann zu weinen. Und überall, wo ihre Tränen hinfielen, wuchsen weiße Sterne aus dem Boden – die Sterne der Alpen.
Das ist nur eine der Geschichten, die vom Mythos Edelweiß zeugen. Diese magische Blume, die tatsächlich so manchen liebestollen Burschen Kopf und Kragen kostete – wenn es auch weit weniger waren, als die dramatischen Schilderungen vom tödlichen Ende einer Liebesgeschichte, die dem Brauch nach durch ein Edelweiß besiegelt werde sollte, glauben machen. Zumal das stark gefährdete Edelweiß bei uns ja unter Naturschutz steht und gar nicht gepflückt werden darf.
Die Edelweiß-Blume auf der Rax
Die Symbolpflanze der Alpen ist eigentlich ein Einwanderer. In der letzten Eiszeit kam sie aus den sibirischen Steppen zu uns und brachte die weißfilzige Behaarung mit, die eine Anpassung an die Trockenheit der Steppe war, dem Edelweiß aber auch beste Voraussetzungen zum Überleben in den Alpen lieferte.
Auf Wiesen fühlt es sich übrigens besonders wohl. Das kann man auf der niederösterreichischen Rax sehen, wo man aufpassen muss, dass man nicht auf ein Edelweiß tritt. Denn dort, wo seit mehr als hundert Jahren strenger Naturschutz waltet, um die Qualität des Wassers, das via Hochquellwasserleitung nach Wien fließt, zu erhalten, hat es sich gar zahlreich vermehrt.
Die anpassungsfähige Blume gedeiht aber auch auf Grasbändern an steilen Halden – vorzugsweise in felsiger Kalksteinumgebung und in Höhen von 1.800 bis 3.000 Metern. Man findet sie überdies in den Pyrenäen, Karpaten und auf dem Balkan, nahe Verwandte in den Apenninen und im Himalaya.
Löwenfüßchen und Jagabloama
Leontopodium nivale ssp. alpinum Cass. ist der botanische Name des Edelweiß. Das Kürzel Cass. verweist auf den Botaniker Alexander Cassini, der die Pflanze 1819 systematisierte. Leontopodium setzt sich aus dem griechischen leon (Löwe) und podion (Füßchen) zusammen. Vermutlich kam Cassini auf den Namen, weil er in den wolligen Hochblättern einen Raubtierfuß erkennen mochte. Der deutsche Name war „Ruhrkraut“; wohl, weil das Edelweiß als Heilmittel bei Durchfall galt.
Noch häufiger findet man die Bezeichnung „Wollblume“, die im 16. Jahrhundert in der Schweiz nachgewiesen ist. Heinrich Marzell schreibt in seinem „Wörterbuch der deutschen Namen“, dass in Berchtesgaden „Strohblume“ üblich war und im Salzburgerischen „Jagerbloama“, weil die Pflanze „von Gemsjägern ins Tal gebracht wurde“. In Frankreich sagte man im 19. Jahrhundert „Immortelle des Alpes“ („Unsterbliche der Alpen“), in Italien heißt das Edelweiß bis heute „Stella alpina“, Stern der Alpen.
Die erste schriftliche Erwähnung des Namens „Edelweiß“ findet sich 1785 in den „Naturhistorischen Briefen“ von Karl Ritter von Moll. Der Naturforscher berichtet von einem Zillertaler Bauern, der ihm von einer Pflanze namens „Edelweiß“ erzählt habe, die er zur Geisteraustreibung verwende. Zu dieser Zeit war die Bezeichnung in den Hohen Tauern von Tirol bis Salzburg schon gebräuchlich.
Das Edelweiß, Männer, Mode und Märchen
Dass die Blume so populär wurde, hat wohl mit der Gründung des Österreichischen Alpenvereins 1862 zu tun, der das Edelweiß zum Symbol wählte. Richtig los mit dem Edelweiß-Kult ging es aber erst mit dem Bergtourismus. Das städtische Bürgertum ließ sich Ende des 19. Jahrhunderts in seiner Sehnsucht nach Natur durch das Edelweiß inspirieren. So fanden die Edelweiß-Bräuche erst über die Projektion durch die Touristen Eingang in die Alpenländer.
Der Gebrauch der Edelweiß-Blume in der Volkskultur ist also relativ jung: Als Trachtenverzierung taucht es erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf, als Souvenirmotiv im 20. Jahrhundert.
Heute ist das Edelweiß zu einem riesigen Geschäft „aufgeblüht“: auch weil es zum Symbol für Manneskraft und Heldentum wurde, zum Wahrzeichen der Alpinisten, Bergführer und auch Soldaten, vor allem der Gebirgsjäger.
Gleichzeitig steht es für das Gute und Reine: „Sound of Music“, die Geschichte der braven Familie von Trapp mit dem Titelhit „Edelweiß“, hat die Blume rund um die Welt bekanntgemacht. In den USA wird das Lied oft als die österreichische Bundeshymne betrachtet.
Noch so ein Edelweiß-Irrtum – aber ein botanischer: Der fremdartig schöne Blumenstern ist eigentlich eine Scheinblüte, die weißfilzigen Zacken sind vielmehr die Blütenköpfchen umschließende Hochblätter. Die eigentlichen Blüten, winzige Röhren, sitzen hundertfach in den vier bis fünf gelbgrünen Köpfchen inmitten des Sterns. Der blendend weiße Schimmer auf den Hochblättern entsteht dadurch, dass tausende kleine Luftbläschen an dem vielfach durcheinandergewirkten, krausen Haar das einfallende Licht reflektieren.
Liebling der Wissenschaft
Diese filzige Behaarung erfüllt einen doppelten Zweck: Zum einen entsteht zwischen den Haaren ein unbewegter Luftmantel, der die Verdunstung vermindert und so hilft, Trockenheit und Wind zu überdauern. Zum anderen wirken die reflektierenden Hochblätter als Signal für Insekten, die zusätzlich durch den schweißähnlichen Duft der Blüten angelockt werden.
Auch Physiker sind vom Edelweiß fasziniert: Das Edelweiß muss sich ja nicht nur gegen Witterungsbedingungen wie Schnee bis in den Sommer hinein und Sturm sowie Trockenheit in den steinigen Windecken schützen. Vor allem ist es auch einer starken UV-Strahlung in großer Höhe ausgesetzt.
Wie überlebt die Pflanze das? Studien ergaben, dass die Edelweiß-Haare aus parallelen Fasern mit 0,18 Mikrometer Durchmesser bestehen, was etwa der Wellenlänge der UV-Strahlung entspricht. Und jedes einzelne Haar ist mit einer Rillenstruktur überzogen, dadurch werden die UV-Strahlen so umgeleitet, dass sie der Länge nach durch die Härchen wandern und dabei absorbiert werden. Dieses Edelweiß-Prinzip will man jetzt zum Beispiel auch für den Schutz von Gemälden vor grellem Licht nützen.
Alpiner Jungbrunnen
Das Edelweiß hat aber noch eine weitere Waffe gegen die UV-Strahlung. In Blatt und Blüte fand man Polyphenole. Das sind antioxidativ wirkende Pflanzenstoffe. Menschen helfen diese Wirkstoffe vor allem gegen die Bildung von freien Radikalen, jenen Sauerstoffmolekülen, die Gefäße angreifen können und auch für den Alterungsprozess der Haut verantwortlich gemacht werden.
Die anthroposophische Medizin, die auf der Signaturenlehre des Paracelsus beruht, war es, die das Edelweiß zu einem Sonnenschutzmittel verarbeitete. Eine Pflanze, die so viel Sonnenstrahlen aushalten muss, sollte auch gegen die negativen Wirkungen der Sonne helfen. Natürlich wurden dazu keine wildwachsenden Pflanzen verwendet, sondern solche, die aus einem Anbauprojekt im Wallis stammen. Dort wird das Edelweiß auf über 1.000 Meter biologisch kultiviert.
Selbstredend interessiert sich auch die moderne Medizin für die Edelweiß-Heikräfte. An der Uni Innsbruck untersuchte man die Inhaltsstoffe. Extrakte aus den Blüten, Blättern und Wurzeln zeigten eine deutliche entzündungshemmende und antibakterielle Wirkung.
Vor allem ein Bestandteil, den man Leoligin (von Leontopodium) nannte, hat es den Forschern angetan. Inzwischen weiß man, dass dieser Edelweiß-Wirkstoff ein potentes Mittel gegen Verdickungen der Gefäßinnenwände – Ursache vieler Herz- Kreislauf-Erkrankungen – sein kann. Vom Leoligin erhofft man sich, dass es auch die unerwünschten Gefäßverdickungen bei Bypassoperationen verhindern kann. 2008 wurde von der Uni Innsbruck ein Patent angemeldet, das Leoligin als Medikament international schützt.
Edelweiß mit Milch und Honig
Das Edelweiß ist natürlich auch in der Volksmedizin tief verwurzelt.
„Bauchwehbleamal“ nennt man es heute noch in manchen Alpentälern. Traditionell wurde das Edelweiß mit Milch und Honig gekocht und sowohl bei Mensch und Tier (vor allem den Kühen) gegen Darmkoliken, Durchfall, aber auch bei verschiedenen Magenleiden verwendet. Diese Anwendung manifestiert sich auch im alten Namen Ruhrkraut (Gnaphalium).
Als Arznei gegen Tuberkulose wurde die Edelweiß-Blume ebenfalls genutzt: „Der Tiroler Bauer schreibt dem Alpenruhrkraut neben seinen stomachalen, auf die Verdauungsorgane wirkenden Eigenschaften auch Heilkräfte gegen die Lungenschwindsucht zu und ein Thee aus Edelweißblüten erfreut sich großen Rufes bei Bekämpfung dieser furchtbaren Geisel des Menschengeschlechtes“, schrieb der Innsbrucker Biologe Dalla Torre 1905.
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