Die Marille und ihr sinnesfreudiger Ruf
Frisch vom Baum schmecken sie genauso gut wie zu Marmelade verfeinert, als Saft oder im Kuchen. Dass man ihnen aphrodisierende Wirkung andichtete, verdanken die Marillen ihrer Form.
Wundern darf es einen nicht, dass der europäische Volksglaube der Marille den Ruf angedichtet hat, ein äußerst wirksames Aphrodisiakum zu sein. Fallen einem doch beim Anblick dieses Früchtchens mit seiner sonnigen, gelborangen Haut, den roten, wie erhitzt wirkenden Flecken und Pünktchen und den runden, prallen Doppelbacken allerlei allzu menschliche Ähnlichkeiten ein.
In William Shakespeares „Sommernachtstraum“ hat die Marille ihren berühmtesten Auftritt in der Weltliteratur. Dort soll der Weber Zettel im Auftrag der verliebten Elfenkönigin Titania umgehend mit Marillen versorgt werden, auf dass er rascher den Weg „ins Bett hinein“ findet.
Einen Teil dieses sinnesfreudigen Rufs verdankt die Marille aber vielleicht einfach dem Umstand, dass sie die Frühreife im Namen trägt: Die Römer nannten die kleinwüchsigen Steinobstbäume, die vor den meisten anderen Obstbäumen blühen und reifen, mala praecocia, frühreife Äpfel. Auf dem Umweg übers Arabische wurde daraus das italienische albicocca, das französische abricot und das deutsche Aprikose. Das österreichische Wort Marille leitet sich jedoch vom botanischen Namen Prunus armeniaca(armenische Pflaume) ab.
In einem Brief aus dem Jahr 1509, der im Starhembergischen Archiv im oberösterreichischen Eferding aufbewahrt wird, ist erstmals von Maryln die Rede – es ist der älteste Nachweis der Verwendung dieses Wortes. Allerdings kann das noch nicht als früher Hinweis auf die weltberühmte Wachauer Marillenkultur mit heute 100.000 Bäumen gewertet werden.
Diese entstand nämlich aus einem eher unerfreulichen Grund: Als die Terrassen-Weingärten der Wachau um das Jahr 1890 von der Reblaus vernichtet wurden, suchten sich die Weinbauern ein zweites Standbein und fanden es im Anbau lokaler Marillensorten. Ein wackeliges Standbein allerdings, da die Marillenbäume so empfindlich gegenüber Spätfrösten sind, dass immer wieder ein Großteil der Jahresernte ausfallen kann.
Gut zu wissen
Marillenbäume sind extrem empfindlich gegenüber Spätfrösten. Man kann beim Pflanzen ein wenig vorbeugen mit einem Standort, der erst relativ spät im Frühjahr sonnig wird. Dann treiben und blühen sie später – mit der Chance, nicht voll von Spätfrösten erwischt zu werden.
Der geflochtene Korb, mit dem Marillen traditionell geerntet werden, heißt in der Wachau Zistel. Sie ist schmal, läuft unten spitz zusammen und kann nur mit einem Haken an einen Ast gehängt werden. Der Sinn der ungewöhnlichen konischen Form: Auf den Früchten, die ganz unten im Korb liegen, lastet nur wenig Gewicht – bei druckempfindlichen, weichen Früchten wie den Marillen ein großer Vorteil.
In mittelalterlichen Büchern wurde oft nicht zwischen Marillen und Pfirsichen unterschieden. Gegeben hat es aber beide Obstsorten mit Sicherheit.
Wer seinem Marillenbaum kein warmes Weinbauklima mit heißen Sommern bieten kann, tut gut daran, ihn an einem sehr geschützten, warmen Platz zu pflanzen – überdacht oder an einer Hausmauer.
Marille (prunus armeniaca)
Familie: Rosengewächse (Rosaceae).
Anbau: Marillenbäume brauchen sonnige, warme Standorte und lockere, kalkhaltige Böden. Wurzelnackte Marillenbäumchen setzt man am besten im März, wobei man vertrocknetes und verletztes Wurzelwerk abschneidet und den Baum vorm Pflanzen ein, zwei Tage gut einwässert. Gepflanzt wird so, dass die knollige Veredelungsstelle über der Erde liegt. Ab Mitte April kann man Marillen nur mehr als Topfware – mitsamt verwurzeltem Erdballen – setzen.
Pflege: Marillenbäume brauchen regelmäßig Pfleerückschnitte, die man am besten nach der Ernte im Hochsommer macht. Wie bei allen Obstbäumen bedarf auch der richtige Schnitt von Marillenbäumen etwas Übung. Wer es selber machen möchte, ist gut beraten, einmal einen Obstbaumschnittkurs zu besuchen.
Ernte: Je nach Sorte reifen Marillen zwischen Ende Juni und Mitte August.
Der Geschmack des Sommers
Liebesfrucht hin oder her: Andere Wirkungen der Marille, deren ursprüngliche Heimat in Mittel-und Ostasien liegt, sind gesichert. Sie fördert die Verdauung, regt den Appetit an und wirkt adstringierend. Außerdem ist sie reich an Vitaminen und Mineralstoffen. Vor allem aber ist sie eines: süß und köstlich. Nichts schmeckt mehr nach Sommer als reife Marillen mit ihrem saftigen Fruchtfleisch, das bei Überreife ins Mehlige kippen kann.
Bei der Marillenernte ist der richtige Zeitpunkt wichtig: Die Frühe aus Kittsee mit ihren kleinen hellgelben Früchten reift schon Ende Juni um Johanni, die Kecskeméter Rosenmarille – eine besonders gute Einkochsorte – erst Mitte August.
Haltbar sind Marillen nur sehr kurz. Was man nicht frisch vom Baum essen kann, wird daher getrocknet, eingefroren, gebrannt oder eingekocht.
Das, was man aus Marillen alles machen kann, steht den frischen Früchten an Feinheit in nichts nach. Es ist sicher kein Zufall, dass die meisten Menschen Marille als Lieblingsmarmelade angeben. Auch einige Höhepunkte der österreichischen Küche sind dem Geschmack der Marille zu verdanken – von den Marillenknödeln bis zu den Marillenpalatschinken.
In der Zeit der Ernte gibt es auch kaum einen Kaffeetisch, auf dem nicht ein hausgemachter Marillenkuchen stünde. Marillensaft ist ein besonders süßes, dickflüssiges Edelgetränk und guter Schnaps aus den vollreifen Früchten ein gesuchter Klassiker unter den Bränden.
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