Hausbesuch in einem Stadtpalais in Wien
Durch ein modernes Portal gelangen wir von der geschäftigen Einkaufsstraße in einen grünen Innenhof. Der Lärm verebbt, und es ist, als würden wir eine andere, längst vergessene Welt betreten. Hier, direkt an einen Neubau mit Eigentumswohnungen gepresst, steht ein altes Palais.
Langsam öffnet sich die schwere, hölzerne Eingangstüre. „Herzlich willkommen, ich freue mich. Darf ich Ihnen Tee anbieten?“, begrüßt uns die Hausherrin. Und sofort steht für uns fest: Auch wenn Adelstitel in Österreich längst abgeschafft wurden, diese Dame mit der würdevollen Haltung ist und bleibt eine Gräfin und muss auch als solche angesprochen werden.
Gräfin Anne führt uns ins Foyer. Wir finden uns wieder in einer Szenerie, wie man sie sonst nur noch in diesen wunderbar romantischen Filmen sieht, in denen sich an der Küste von Cornwall amouröse Belange von Reich und Schön neunzig Minuten lang dem sicheren Happy End nähern. Die Wände im Entree sind – wie auch im Rest des Hauses, wie wir später erfahren werden – mit wundervollen Malereien versehen. Alte Kutschenlampen, die an eine Zeit erinnern, da in den Kopfsteinpflaster-Gassen Wiens nur Fiaker fuhren, spenden warmes Licht.
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Adel verpflichtet
Vom Foyer im Erdgeschoß führen Türen zu den ehemaligen Kinderzimmern der mittlerweile erwachsenen Töchter. „Sie werden gleich bemerken, dass ich Tüftlerin und leidenschaftliche Improvisateurin bin – eine richtige Praktikerin halt“, sagt Gräfin Anne, und ihre Augen blitzen. Die Wände des einen Mädchenzimmers hat sie mit auf dem Flohmarkt erstandenen Partituren tapeziert. Eine originelle Idee.
„Und außerdem wirklich günstig“, erklärt die 70-Jährige, während wir ihr über eine massive Steinwendeltreppe in den ersten Stock folgen. „Denn vergessen Sie bitte sofort, dass der Adel reich ist und sorglos lebt. Einige von uns müssen vielleicht sogar mehr arbeiten als manch anderer.
Wir haben die verantwortungsvolle Aufgabe, ein Stück österreichischer Geschichte für die Nachwelt zu erhalten.Gräfin Anne
Das Schloss der Familie von Gräfin Anne liegt im Mühlviertel. „Damit dieses Stück österreichischer Geschichte nicht verfällt, haben wir jahrzehntelang die alten Mauern renoviert, Trakt für Trakt wurde erneuert.“ Das muss natürlich auch finanziert werden. „Heute vermieten wir die dazugehörige Kirche und alle Räumlichkeiten – außer unsere privaten Zimmer – für Hochzeiten und Feriengäste. Sonst könnten wir das alles nicht erhalten.“
Auch hier im Wiener Stadtpalais ist der Familiensitz präsent – in Form einer Wandmalerei im ersten Stock. „Die herausragende Raja Schwahn-Reichmann hat in Windeseile unser Schloss und die dazugehörigen Ländereien mit dem Pinsel an die kahlen Wände gezaubert“, erzählt Gräfin Anne. Wenn sie nicht in Mühlviertel sein konnte, dann musste das Mühlviertel eben zu ihr nach Wien kommen. „Ich war jahrzehntelang Beamtin bei der UNO“, erklärt die Gastgeberin.
Ein spannendes Leben, das sie nicht nur oft nach Wien, sondern bis nach Namibia und Sierra Leone führte. „Dort habe ich die ersten demokratischen Wahlen organisiert – und zwar unter unruhigen Umständen. Aber mehr davon erzähle ich Ihnen nach der Hausführung.“
Wie in einem Schloss
Staunend betreten wir Zimmer nach Zimmer. Solch edle Stoffe, schwere Möbel und üppige Tapeten sieht man sonst nur bei Schlossbesuchen. Allein die Küche ist nüchtern und zweckmäßig eingerichtet. Hier kocht die Hausherrin selbst, oft und gern – „gestern erst für ehemalige Kolleginnen“.
Vis-à-vis der Küche liegt eine Zimmerflucht: Die erste Türe öffnet sich in die Bibliothek, die gleichzeitig auch „Spielzimmer“ ist. „Hierher lade ich Freunde zum Bridge ein“, erzählt Gräfin Anne und zeigt uns den eigens dafür vorgesehenen aufklappbaren Spieletisch mit kunstvollen Intarsien.
Links führt eine Flügeltüre in das eigentliche Wohnzimmer – ein Traum in Rot mit offenem Kamin, allerlei Sitzgelegenheiten und Kerzenbeleuchtung. Auf den vielen kleinen Tischchen stehen über die Jahrzehnte gesammelte Tabatieren, Döschen und andere Preziosen.
Wendet man sich in der Bibliothek hingegen nach rechts, gelangt man in ein Speisezimmer mit einem beeindruckenden Tisch in der Mitte. Von dort geht eine Flügeltüre ins Schlafzimmer, und über das erreicht man ein helles Bad, durch dessen Fenster man, wie auch in den anderen Räume, in den grünen, weitläufigen Innenhof blickt.
Die Gräfin in der Garconnère
Im Wohnzimmer wartet der Tee auf uns. Und endlich erfahren wir die spannende Geschichte unserer Gastgeberin: Die gebürtige Schwedin kam als junge Frau zunächst nach New York und ging dort schnurstracks zur UNO. Nach ein paar Jahren wurde sie nach Österreich versetzt. „Tja, und da bin ich hängen geblieben, nachdem ich meinen Mann kennengelernt hatte, der als Forstwirt auf den Gütern rund um das Familienschloss tätig war.“
Ihren Gatten und die Familie sah Gräfin Anne damals meist nur am Wochenende. Unter der Woche hielt sie ihr Beruf in Wien fest. Zunächst bewohnte sie dort eine kleine Garçonnière. 1989 wurde ihr das Palais im dritten Bezirk angeboten. „Das Haus war vollkommen heruntergekommen. Die alten Rohre waren allesamt undicht, und das heutige Erdgeschoß diente als Garderobe für einen Tennisplatz auf dem Nachbargrundstück“, erinnert sich die Gräfin.
Dass sie die Sanierung dennoch anging, dafür gebührt der Dank ihrem Mann und den beiden Töchtern: „Du liebst doch solche Herausforderungen“, hatten die gesagt. Und so nahm das Projekt langsam, ganz langsam Formen an.
„Als es dann ans Einrichten ging, bin ich mit dem Auto auf Shoppingtour nach London gefahren“, erzählt Gräfin Anne schmunzelnd. „Ich habe das Fahrzeug so mit Tapeten und Stoffen angefüllt, dass ich kaum selbst mehr Platz hatte.“ Auch die Straßenhändler wurden von ihr regelrecht geplündert.
Heute kann sie uns nicht mehr sagen, welches Stück woher stammt. „Das alles ist das Ergebnis von Jahrzehnten, aber ich denke doch, dass ich das Meiste aus dem Wiener Dorotheum habe. Dort habe ich unglaublich viel Zeit bei Auktionen verbracht.“
Berufung: Bauen
Das Sanieren und Bauen hat Gräfin Anne ihr Leben lang begleitet – sogar bis nach Afrika. „Eigentlich hatte ich gedacht, in Sierra Leone, wo es darum ging, die Wahl zu organisieren, müsste ich einmal nichts renovieren und bauen. Und dann habe ich die ersten Wochen dort nur damit verbracht, uns ein notdürftiges Dach zu schaffen, unter dem wir dann unser Büro eingerichtet haben.“ Heute ist Gräfin Anne in Pension, das Palais ein Schmuckstück. „Arbeitslos“ ist sie dennoch nicht. „Auf unserem Mühlviertler Schloss wird das ganze Jahr über geheiratet, und die Vorbereitungen sind mein neuer Job.“ So gesehen baut sie auch schon wieder: an einem schönen Start in eine gemein- same Zukunft für die Brautleute.
So wird's gemacht: Große räumliche Wirkung mit Glaselementen
Das Obergeschoß des Stadtpalais beherbergt eine Flucht von Zimmern, die durch hohe Glasflügeltüren miteinander verbunden sind. Weil Gräfin Anne nicht wollte, dass Gäste an der großen Tafel ins angrenzende Schlafgemach sehen können, hat sie die Glaselemente der Schlafzimmertüre auf beiden Seiten mit dünnen Spiegelflächen versehen.
Zusatzeffekt: Die Spiegelflächen lassen beide Räume optisch größer erscheinen.
Ob Tapete oder Malerei – Wandgestaltung ist ein großes Thema im Haus. Eine kreative und kostengünstige Alternative: Auf Flohmärkten finden sich oft alte Partituren.
Gräfin Anne hat einzelne Seiten mit Leim an die Wände geklebt und so eine herrlich fröhliche und lebendige Atmosphäre geschaffen.
Dieser Hausbesuch erschien in Servus in Stadt & Land im September 2015.
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