Ein uraltes Salzburger Bauernhaus
Ja, ja, mit der Zeit bekommt man eine gewisse Demutshaltung. Michael Strobl bückt sich mit seinen 1,86 Metern vom Vorraum in die gute Stube. Durch eine Türe, bei der sogar wir mit unseren Einssechzig sicherheitshalber eine buckelnde Figur machen.
Natürlich verzieht sich Strobls Mund dabei zu einem schelmischen Lächeln, doch der Ernst in seinen Augen verrät, dass mehr dahintersteckt. Man bekomme, sagt der Salzburger Architekt, mit so einem alten Häuschen am Ende des Tales einen Respekt vor der Natur. Sie sei aber, setzt er nach, während wir die mächtigen Bergrücken des Schmittenstein und des Schlenken, die eine kantige Linie in den blauen Himmel ziehen, mit unseren Blicken nachzeichnen, in ihrer Unberechenbarkeit berechenbar.
Kurz: Hier ist die Natur der Chef, und der kann man auch mit moderner Technik kein Schnippchen schlagen, ohne dabei auf das Wissen der Altvorderen zu bauen.
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Zwar nur 30 Autominuten von Salzburg entfernt, sind aber allein die letzten 10 Minuten vorm Ziel eine kleine Rätselrallye. Abzweigung beim Adeg nehmen, am Marterl links vorbei; nicht erschrecken, wenn’s plötzlich ein Waldweg wird, tapfer bis zum Ende durchhalten, so die Anweisung. Wir scheitern dreimal, bis wir endlich vor dem kleinen Haus landen, hinter dem es nur noch einen alten Bauernhof gibt, aber dann ist Schluss.
Der fensterlose Westen
1831 vom Kainaubauern als Ausgedinge für seine unverheiratete Tochter, die Maridl, errichtet, hat es allen Wettern und Widrigkeiten getrotzt. Weil man damals einfach wusste, wo und wie man was hinstellt. Keine Fenster auf der Westseite, weil von dort das Wetter kommt. Den Hang im Norden als Stütze integrieren und die gute Stube wegen des besseren Lichteinfalls mit Fenstern nach Osten und in den Süden ausrichten.
Freilich stand es vor fünf Jahren nicht so proper da, als Michael Strobl und seine Frau Ute, eine Salzburger Apothekerin, die Privatanzeige in der Zeitung entdeckten. Inspiriert von einem befreundeten Paar, das im Lungau ein altes Gehöft geerbt hatte, waren die beiden damals schon jahrelang auf der Suche. Doch nie hat etwas so ganz gepasst. Man brauche Erfahrung und müsse schon viel gesehen haben, sagt Michael Strobl, um sich auf das Abenteuer eines fast 200 Jahre alten Hauses einzulassen. „Ein Dach kannst reparieren, ein Fundament nicht“, sagt Strobl, der sofort zuschlug, weil zwar das Dach desolat, die restliche Substanz aber in Ordnung war.
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Die Heidenarbeit mit den Holzschindeln
Mitte des vorigen Jahrhunderts von einem deutschen Ehepaar einmal innen generalsaniert, wohnte zum Schluss eine Familie hier, die nicht nur vom Aussteigen träumte, sondern es zu realisieren versuchte. Ein Traum, der letztendlich an der Wirklichkeit, sprich Natur, zugrunde ging. Aussteigen wollten die Strobls nie, trotzdem war ihnen bald klar, dass sie sich hier so etwas wie ein Lebensprojekt erkauft hatten. Eines, das man nicht auf einmal angehen kann, dem man sich Schritt für Schritt annähern muss, das vermutlich nie ganz fertig sein wird und wo es immer etwas zu tun gibt.
Das Dach also musste gleich einmal generalsaniert werden. Hier kam Michael Strobl seine Berufserfahrung zugute. Er stattete es technisch modern mit einer Dämmung aus, die Konstruktion der alten Balken ließ er aber bestehen. Gedeckt wurde dann mit neuen Holzschindeln, allerdings aus Lärche, weil die länger halten als die vorhandene, bereits verrottete Fichte.
Vier Monate lang nagelte Strobl Schindel für Schindel einzeln an. Mithilfe von Vater und Schwiegervater, die beide noch wissen, wie man einen Hammer hält. Strobl weiß das jetzt auch – und noch viel mehr. Allein für die richtige Überlappung am Dachrand gönnte er sich intensive Besprechungen mit Zimmermännern und das Studium von historischen Büchern. Auch dass die geschnitzten Verzierungen vor der Dachkante keine Spielereien sind, sondern einen Zweck haben, weiß er jetzt. Sie sollen die dahinterliegenden Holzbalken vor Regen schützen. Jede Form aber hat eine Bedeutung. Eine Tulpe steht für die Hausherrin, die Eichel bedeutet Heimat, die Brezen ein langes Leben und das Herz, eh klar, Liebe. Genauso zieren sie jetzt das Strobl-Haus.
Befreites Holz und eine Dosis Moderne
Wie man die nur 110 Quadratmeter Wohnfläche innen nutzt, war aufgrund der Vorgaben schnell klar. Die gute Stube samt angeschlossener Küche blieben im Erdgeschoß, wo sie immer schon waren. Nur das dick lackierte Holz von Türen, Türstöcken und der wunderbaren Decke musste befreit werden. Dabei half Strobl übrigens seine Größe enorm. Er musste den 8-Kilo-Apparat nur schultern und konnte abschleifen, ohne sich mühsam strecken zu müssen.
Auch der Kamin, dessen Warmluft das Haus bis unters Dach beheizen kann, wurde mit alten Wiener Kacheln neu gemacht. Die handgeschnitzte Eckbank mit Tisch und Kasteln bekam Ute Strobl von einer Freundin geschenkt, die moderne Küche mit Vollholz-Arbeitsfläche war ein Geschenk ihres Mannes. Der Elektroherd ist so ziemlich das einzige neumodische Gerät im Haus. Keine Waschmaschine, kein Fernseher, kein Telefonanschluss – nur eine vom Kachelofen betriebene Heizung, die man per SMS von unterwegs einschalten kann, haben sich die Strobls gegönnt. Damit man aber vor lauter Tradition nicht gleich erstickt, finden sich interieurmäßig zwischendrin moderne Sachen wie Lampen, Stahlregale oder ein Glastisch.
Aufs WC muss man auch nicht mehr so wie ursprünglich raus auf den Balkon direkt über eine Senkgrube klettern. Es ist im kleinen Badezimmer mit Dusche im ersten Stock integriert. Vis-à-vis im ehemaligen Schlafzimmer haben die beiden Kinder, Katharina und Matthias ein feines Reich. Mit Stockbett, Puppenhaus und viel Platz zum Faulenzen. Die meiste Zeit treiben sie sich aber im Freien herum, denn hier lockt das Abenteuer. Das Erste, was er hier montiert habe, erinnert sich Michael Strobl, sei die Schaukel am alten Nussbaum gewesen. Mittlerweile suchen sich die Kinder ihr Spielzeug selbst in der Umgebung. Bauen Laserschwerter, Pfeil und Bogen aus alten Ästen und kleine Teiche am Bach hinterm Haus.
Ja, der Bach, sagt Strobl, der könne bei Gewittern in wenigen Minuten ein reißendes Ungeheuer werden. Die Vorgänger wussten sogar von schrecklichen Überschwemmungen zu berichten. Man müsse ihn halt im Auge behalten, so der Hausherr. Und der Hausverstand ergänzt: Immer schön frei von Gehölz und Blättern halten, was die Strobls bislang vor gröberer Unbill bewahrt hat.
Unebenheiten zum Geniessen
Unterm Dach, wo seinerzeit eine Rauchkuchl war, residieren jetzt die Hausbesitzer. In einem großen offenen Raum, bei dem die alten, rauchgeschwärzten Holzbalken geschickt ins Ambiente integriert wurden. Sowie die unterschiedlichen Niveaus des Holzbodens, die Michael Strobl zu der gelassenen Erkenntnis brachten: „Der Unebenheiten wirst du nicht Herr, die kann man nur genießen.“ Also wurde die tiefste Stelle mit einer großen Couch zur Wohnecke umfunktioniert – wo hauptsächlich gelesen wird, denn so viel Zeit für Bücher habe er früher nie gehabt, sagt Strobl. Und weil er im Laufe seines Lebens gelernt hat, in Projekten zu denken, überlegt Michael Strobl bereits, was als Nächstes drankommt.
Übrigens: „Weiterbauen am Land“, kluge Lektüre für passionierte Renovierer, StudienVerlag. Mehr zu Michael Strobl: www.stroblarchitekten.at
Dieser Hausbesuch erschien erstmals in Servus in Stadt & Land im Oktober 2011.
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