Seltene heimische Blumen
Seltene Blumen galten in Märchen und Mythen als blühende Wunderwesen mit magischer Kraft. Heute brauchen sie unseren Beistand. Mit etwas Glück sind sie aber immer noch in der Natur zu bestaunen.
Sie blühen im Verborgenen, immer fernab auf schier unbezwingbaren Bergen oder in gespenstischen Moorlandschaften. Drachen, Bären oder Zauberer bewachen sie, doch irgendwo gibt es immer so einen Teufelskerl, der nicht aufgibt und sie irgendwann findet.
Es sind die seltensten Blumen, die seit Jahrhunderten den Ehrgeiz der Menschen anstacheln, weil ein faszinierender Zauber sie umgibt. Schließlich sind sie im Reich der Sagen und Legenden stumme, aber umso bedeutungsvollere Hauptdarsteller.
Allein durch die Pracht ihrer Blüten vertreiben sie den Trübsinn in sich versunkener Prinzessinnen. Sie heilen kraft ihrer Wurzeln und Blätter sterbenskranke Könige. Und wenn ein Mädel weiß, was der Bursch auf sich genommen hat, um ihr diese eine Blume zu bringen, dann darf der sich ihrer Liebe sicher sein.
Manchmal ist allerdings auch ein wenig Zeitdruck dabei, um die Sache noch ein bisschen spannender zu machen: So neigen viele Raritäten dazu, nur alle hundert Jahre zu blühen; es gibt also nur eine einzige Chance im Leben eines Menschen.
In manchen Kulturen ist „seltene Blume“ auch ein Mädchenname, der ein strahlendes Leben gewährleisten soll. In der Welt romantischer, bisweilen kitschiger Symbolik steht sie für die großen – heute vielleicht nicht mehr ganz so in Ehren gehaltenen – Tugenden: die reine Wahrheit, die ewige Liebe, die unerschütterliche Treue, den tiefen Glauben.
Das Edelweiß, so blutig rot…
Aber auch in der Gegenwart sind solche Gewächse noch dazu angetan, die Fantasie zu beflügeln. In Schulbüchern dürfen sich Volksschulkinder Themen für Aufsätze aussuchen: Wollen sie lieber erzählen, wie man einen gefährlichen Drachen tötet, wie man eine Burg erobert – oder wie man ein Edelweiß aus der Wand holt?
Das Edelweiß. Im Herzen dieser eher unscheinbaren Pflanze treffen sich Mythos und Wirklichkeit. Man darf darüber spekulieren, was das schon seit mehr als hundert Jahren streng geschützte Gewächs zur berühmtesten und symbolträchtigsten Blume der Alpen gemacht hat. Natürlich haben auch seine entlegenen Reviere dabei eine Rolle gespielt. Per aspera ad astra heißt es im Lateinischen: durch Mühsal zu den Sternen – in diesem Fall zu den filzigen sternförmigen Deckblättern des Edelweiß.
Die große alpine Erzählung von der Jagd nach dieser seltenen Bergblume ist übersät von tödlichen Blessuren. Es passiert meist, wenn die Hand sich auf steilem Fels – also „dort oben, wo die Alpen glühen“ – der Beute entgegenstreckt. Was dann mit dem tragischen Helden passiert, verrät ein Volkslied aus dem 19. Jahrhundert:
Verlassen liegt er ganz allein, An steiler Felsenwand. Das Edelweiß, so blutig rot, Hält fest er in der Hand.
Wiesen und Berge als Apotheken
Schon früh wurden auch die heilenden Kräfte alpiner Blumen entdeckt. Von Philippus Theophrastus Paracelsus, dem berühmten Arzt des 16. Jahrhunderts, ist die Aussage überliefert, dass alle Wiesen, Hügel und Berge Apotheken seien.
„Bergpflanzen haben den Ruf, kraftvoller als ihre Verwandten im Tal zu sein“, schreibt die Biologin Andrea Lamprecht in ihrer Diplomarbeit über die Nutzungsgeschichte der heimischen Hochgebirgsflora, was nur heißen kann: Wer solche extremen Bedingungen überdauert, muss regelrecht vor (Heil-)Kraft strotzen.
Ja, wenn es nur so wäre wie in der Welt der Märchen und der Volksmedizin. Dann wären die Roten Listen gefährdeter Pflanzenarten bei weitem kürzer, als sie heute tatsächlich sind. Es ist nämlich keineswegs so, dass die Entfernung einzelner Exemplare von ihrem Standort die größte Bedrohung für die heimische Flora darstellt.
Franz Essl vom Umweltbundesamt: „Die Gefahr besteht in der Zerstörung von Lebensraum. Je nach Region geschieht das durch touristische Nutzung, durch Entwässern, Umackern und Düngen. Das Pflücken für den Hausbedarf wird erst dann zum Problem, wenn die für einzelne Arten lebensnotwendigen Biotope verschwinden.“ Mehr als 60 Prozent der österreichischen Farn- und Blütenpflanzen befinden sich auf Roten Listen.
Damit der Zauber weiterwirkt
In gewisser Weise ist es also wieder ein bisschen so wie in der mythischen Welt der seltenen Blumen. Wir müssen uns auf eine lange Suche machen, um sie zu bewundern: weit hinauf in die Kärntner Berge, um die nur hier wachsende Kärntner Wulfenie zu finden; in nur ganz wenige Wiesen im Steirischen und Burgenländischen, um die geradezu lustig blühende Schachblume zu entdecken; oder ins Edlacher Moor, um das stolze Karlszepter emporragen zu sehen.
Und wenn der Zauber der seltenen Blumen wirkt, wird er uns verwandeln – in staunende Wesen, die sich allein durch den Anblick der blühenden Schätze so beglückt fühlen wie die Helden der Märchen.
Gut zu wissen
Internationaler Schutz: Gefährdete Arten werden weltweit auf Roten Listen der Nichtregierungsorganisation IUCN geführt. In Europa definiert das Projekt Natura 2000 Schutzgebiete. Der Schutz von Lebensraum zählt noch mehr als der Schutz einzelner Arten, da diese ohne intakte Umwelt nicht überleben würden.
Landesschutz: In Österreich sind Naturschutzverordnungen, auch wegen der unterschiedlichen Verbreitung mancher Arten, Landessache. Teilweise geschützte Pflanzen dürfen nur in Handstraußmengen gepflückt werden; das Ausgraben unterirdischer Teile ist verboten. Streng geschützte Arten (stark gefährdete oder vom Aussterben bedrohte) dürfen in keiner Weise beschädigt, von ihrem Standort entfernt oder gehandelt werden.
Regionaler Schutz: Auf kleinerem Raum sind Pflanzen in Naturschutzgebieten, National- und Biosphärenparks geschützt. Hier werden die definierten Arten meist auf Schautafeln vor Ort dargestellt.
Alpen-Edelweiss (Leontopodium nivale)
Keine Pflanze in unserer Bergwelt ist so umrankt von Mythen wie das Alpen-Edelweiß. Die weißen „Blütenblätter“ (in Wahrheit sind es die Hochblätter der Blume), die sich anfühlen wie feiner Filz, zieren Münzen und Wappen; Kaiser Franz Joseph I. verordnete das Edelweiß seinen Soldaten als Abzeichen auf deren Uniformen. Als magische Zutat von Liebeselixieren war es schon früh begehrt und infolge bedroht. Auch dass das Alpen-Edelweiß eine der am längsten geschützten Pflanzen ist – seit 1886 –, hat seine Gefährdung durch Souvenirjäger nicht gemindert.
Blütezeit: Juli bis September
Status: streng geschützt
Lungen-Enzian (Gentiana pneumonanthe)
Blau blühen die meisten Arten der großen Enzianfamilie – so intensiv, dass ihre Blütenblätter in früheren Zeiten als Färbemittel beliebt waren, auch die des Lungen-Enzians. Da mussten zwar viele Blumen gepflückt werden, aber die Lebensbedingungen stimmten. Der Lungen-Enzian – so heißt er, weil er gegen Lungenleiden verwendet wurde – war eine Leitpflanze auf Feucht- und Streuwiesen. Vermehrte Mahd ist eine der Ursachen für seine Gefährdung, denn der Lungen-Enzian blüht so spät, dass viele Landwirte nicht mit dem Mähen warten wollen.
Blütezeit: Juli bis Oktober
Status: streng geschützt
Kärntner Wulfenie (Wulfenia carinthiaca)
Wer im Sommer auf den Almen des Kärntner Gartnerkofel wandert, mag gar nicht glauben, was für ein seltenes Kleinod hier zu bestaunen ist. Überall leuchten die bläulich-violetten Blüten der Wulfenie. Aber eben nur hier, auf etwa zehn Quadratkilometern. Die 1779 von Franz Xaver Freiherr von Wulfen entdeckte Wegerichpflanze wächst sonst nirgendwo; es gibt nur eine auf dem Balkan beheimatete Unterart. Ihren Volksnamen Kuhtritt trägt die Wulfenie übrigens, weil das Vieh den Boden für die Triebe lockert und so zum Wuchs beiträgt.
Blütezeit: Juli
Status: sehr selten, streng geschützt
Schachblume (Fritillaria meleagris)
Es gibt nur noch sehr wenige Orte, in denen man sich im Frühjahr freut, wenn die Rotzglockn blühen: Im oststeirischen Großsteinbach etwa oder im südburgenländischen Luising. Natürlich ist damit kein Schnupfen gemeint, sondern die Schachblume, die wegen der morgendlichen Tautropfen so genannt wird. Ihr offizieller Name stammt von den hellen Vierecken, die sich an den purpurnen Blütenblättern abzeichnen. Durch die Trockenlegung von Feuchtwiesen hat die Schachblume vielerorts ihre Lebensgrundlage verloren. Im Barock war sie ein beliebtes Motiv der Blumenmalerei.
Blütezeit: April
Status: vom Aussterben bedroht
Prachtnelke (Dianthus superbus)
Ein wenig zerzaust mag sie aus größerer Entfernung erscheinen, aber näher betrachtet macht sie ihrem Namen alle Ehre. Die angenehm duftende, bis zu 60 Zentimeter hohe Prachtnelke blüht rosa bis hellviolett, ihre Kronblätter sind mindestens bis zur Hälfte geschlitzt. Dianthus superbus bedeutet erhabene göttliche Blume; es gibt übrigens eine Feuchtwiesen- und eine Alpenvariante. Im Volksmund wird die filigrane Schönheit wie andere Nelken auch Nagele genannt, was auf das alte Wort Negelke für Nagel zurückzuführen ist und die schmalen Knospen bezeichnet.
Blütezeit: Juni bis September
Status: streng geschützt