Die reisende Sattlerin aus Niederösterreich
Ihr Mund lächelt freundlich, während ihre Augen hoch konzentriert sind. Ein falscher Schnitt im Leder ist schnell passiert und lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Darum führt Lucy Schmidl das Schneidwerkzeug namens Halbmond sehr präzise über ihr Arbeitsstück. „Alles gut gegangen, nichts passiert“, meint sie grinsend und widmet sich dem nächsten Schritt.
Lucy ist gelernte Reitsportsattlergesellin. Ein aussterbendes Handwerk, obwohl es fast bis zum Anfang der Menschheitsgeschichte reicht. Literatur dazu gibt es kaum. Das Wissen und die Fertigkeiten werden von Generation zu Generation weitergegeben – auch das macht den Beruf so besonders. Der Meister lernt den Gesellen an, dieser wiederum den Lehrling, der dann ebenfalls irgendwann Geselle oder Meister wird. Langeweile kommt dabei nicht auf, denn es gibt unzählige verschiedene Macharten und Herangehensweisen bei der Herstellung der ledernen Kunstwerke – denn Sattel ist nicht gleich Sattel.
Wie ist eigentlich dein Wunsch entstanden, Sattlerin zu werden? „Das hat sich zufällig ergeben. Ich war immer schon Pferdeliebhaberin und damals fast täglich im Reitstall. Mir war klar, dass ich etwas mit Pferden machen wollte. Mein Vater hat mich dann auf die Idee gebracht, einfach eins und eins zusammenzuzählen, denn mein Interesse, mit Leder zu arbeiten, war zu dem Zeitpunkt ebenfalls bereits geweckt. So kam eines zum anderen, und ich war recht schnell Feuer und Flamme für dieses Handwerk.“ Kurz darauf verließ Lucy ihr Elternhaus, zog nach Deutschland und erfüllte sich ihren Wunsch der Ausbildung als Reitsportsattlerin.
Nach Jahren der Unsicherheit, was ich mit meiner beruflichen Zukunft anfangen sollte, ergab plötzlich alles Sinn.
Das erzählt die quirlige Niederösterreicherin mit einem Leuchten in den Augen. „Ich liebte es, während der Lehrzeit auch abends und am Wochenende in der Werkstatt zu stehen und zuzusehen, wie meine Erzeugnisse Form annahmen. Nach zwei Jahren war ich fertige Gesellin mit einem sehr guten Notendurchschnitt und Auszeichnungen für gute Leistungen.“ Es folgten Handwerksbewerbe auf regionaler und nationaler Ebene, bei denen die junge Sattlerin als Bundessiegerin geehrt wurde. „Damit ging ein kleiner Traum für mich in Erfüllung, und es bestätigte mich in meinem Tun“, erzählt sie.
Einen Sattel herzustellen erfordert viele Einzelschritte – jeder ist notwendig, keiner darf ausgelassen werden, sonst sitzt und hält er am Ende nicht richtig. Wissen, Erfahrung und das nötige Werkzeug sind Grundvoraussetzung. „Man beginnt mit dem Herzstück des Sattels, dem Sattelbaum, der als stabilisierende Innenkonstruktion dient. Dieser muss matriziert und mit Sturzfedern ausgestattet werden. Danach wird in vorbereitenden Schritten die Sitzfläche mit den sogenannten kleinen Taschen und dem Halbmond genäht“, erklärt Lucy während sie erneut mit dem einem Halbmond ähnlichen Schneidwerkzeug durch das Leder gleitet.
Der Sattel muss gut passen, da geht es nicht nur um die Bequemlichkeit für den Reiter, sondern auch um die Gesundheit des Tieres.
Damit man die Naht nachher nicht mehr sieht, kommt ein Keder – eine Randverstärkung zum Einsatz. „Ist man damit fertig, wird die Sitzfläche mit dem Sitzleder überspannt. Nun werden die zuvor gefertigten Satteltaschen und Schweißblätter sowie eine Begurtung angebracht. Sind alle Teile fixiert, kommt auf die Unterseite des Sattels ein Kammerleder – und so entsteht auch hier ein schöner Abschluss.“ Im letzten Schritt werden die Kissen gefertigt, die unter dem Sattel auf dem Pferderücken aufliegen. „Der Sattel muss gut passen, da geht es nicht nur um die Bequemlichkeit für den Reiter, sondern auch um die Gesundheit des Tieres“, erklärt die junge Frau.
Neben einer großen Portion Einsatzbereitschaft, benötigt man als Sattlerin vor allem Fingergeschick, eine gute Auffassungsgabe und auch etwas Kraft. Diesen Eindruck erweckt nicht zuletzt die große Nadel, die Lucy nun schwungvoll durch das dicke Leder sticht. Dabei trägt sie Fingerlinge an den Händen, die es ihr ermöglichen, den Faden richtig festzuziehen, ohne dass er in ihre Haut schneidet. Das Endziel der Sattlerin ist nicht nur der gute Halt des Fadens, sondern in beruflicher Hinsicht auch die Selbständigkeit.
Es brennt mir bereits unter den Fingernägeln – so sehr, dass ich gleich loslegen möchte. Aber ich muss mich damit noch zügeln, denn davor steht ein anderes großes Projekt auf meiner Liste: die Walz.
Nicht im klassischen Sinn, sondern auf ihre ganz eigene Art möchte Lucy ihren Horizont erweitern, als Sattlerin und privat. Im Zuge einer längeren Reise mit Haltestationen bei verschiedenen Sattlereien und an Orten, wo sie sich zu Hause fühlt. „Ich will das Beste aus mir herausholen, Erlebnisse zu Geschichten werden lassen, Gleichgesinnte finden, um sich dann gemeinsam weiterzuentwickeln.“ Ein kleiner Campingbus wird für geraume Zeit das Daheim der lebensfrohen Handwerkerin sein. Vier Wände, eine Schiebetür und ganz viel Abenteuer. Und wer weiß, auf welches Pferd sie (sich) danach als nächstes setzt.
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