Traditionelle österreichische Baukultur
Das „Brückl“ ist im Salzkammergut ein Begriff. Übers Brückl verließ man das Haus, übers Brückl betrat man es auch wieder. Genauer gesagt machte man dort einen Zwischenstopp – um die Schuhe auszuziehen, den Stock abzulegen oder etwas hinzustellen. Was immer man dort tat, man tat es jedenfalls geschützt vor Wind und Wetter, egal, ob es draußen regnete, stürmte oder schneite.
Was seine Konstruktion als typisches Element traditioneller Holzhäuser im Salzkammergut anlangt, ist das Brückl einfach ein kleiner Windfang aus Holz mit einer schlichten Tür, der als Vorraum zum eigentlichen Hauseingang diente. Wenn wir allerdings das Wort „Brückl“ als dialektale Verkleinerungsform von „Brücke“ hernehmen, sind wir direkt im Zentrum dessen, worum es hier geht: nämlich um Räume, die eine Brücke schlagen zwischen dem Inneren des Hauses und dem Draußen. Orte, die Schutz bieten, aber doch auch frische Luft und freien Blick hinaus. Übergangszonen, die weder ganz drinnen noch ganz draußen sind und etwas Zusätzliches ermöglichen.
Ein Schopf aus Fichtenholz
In den traditionellen Haustypen Österreichs fand und findet man solche Räume in erstaunlicher Vielfalt und regionaler Spezifik. Als luftige, gemauerte Arkadengänge entlang der Innenhöfe nordburgenländischer Straßendorfhöfe zum Beispiel, als fichten- holzgezimmerten „Schopf“ an den Süd- und Nordseiten der Bregenzerwälderhäuser oder als verglaste oder offene Veranden in den Sommerfrische-Gegenden des Salzkammerguts oder am Semmering.
„Historisch betrachtet haben sich diese Übergangsräume grundsätzlich als Erweiterungen der ursprünglichen Hausformen entwickelt“, sagt Klaus Seelos vom Österreichischen Freilichtmuseum Stübing, wo ein große Sammlung heimischer Haus- und Hoftypen zusammengetragen wurde. Man brauchte mehr Platz und machte etwa den nordseitigen Schopf des Bregenzerwälderhauses zu einer weiteren Kammer, in der gewohnt oder gearbeitet wurde – je nachdem.
Die „Gwandgänge“ der Bauernhöfe des Alpenraums dienten zum Wäsche- und Kräutertrocknen und zum Aufhängen von Zwiebeln oder Knoblauch. Zum Sitzen waren sie zu schmal.
In der West- und Südoststeiermark dienten „Essgangl“ und „Porticus“ – Ersteres aus Holz, Zweiteres gemauert – als überdachte Essplätze für den Sommer. Außerdem wurden sie zum Wäscheaufhängen verwendet, was drinnen im Ruß und Rauch der offenen Feuerstellen nicht möglich war. „Wo eine Rauchstub’n war, besonders in der Steiermark und Kärnten, sind die Leute nach draußen ausgewichen. Im übrigen Österreich, wo Stube und Küche getrennt waren, hat man dort gegessen und die Übergangsräume für andere Sachen genutzt“, sagt Klaus Seelos.
Eine andere Besonderheit der südöstlichen Steiermark und des Südburgenlands rund um die Güssinger und Oberwarter Gegend ist die „Gred’n“. „Ich habe aus meiner Kindheit Sätze im Ohr wie: ,Die Schuah steh’n auf der Gred’n‘“, erinnert sich Renate Prutsch, die in der Nähe von Feldbach aufgewachsen ist. Gemeint ist ein durch das Vordach geschützter Bereich auf der Hauseingangsseite. 10 bis 15 Zentimeter höher als das umliegende Gelände und von diesem mit Holzstämmen abgegrenzt, war sie mit einem festgestampften Lehmschlagboden ausgestattet. Auf der Gred’n stand, gleich einer überdachten Terrasse, oft ein Hausbankl zum Ausruhen und Schuhe anziehen. Über die Gred’n kam man außerdem trockenen Fußes in den Stall.
Salzkammergut: Die Veranda
Die typischen, über zwei, manchmal auch drei Stockwerke laufenden Veranden des Salzkammerguts entwickelten sich aus dem sogenannten Brückl, einem kleinen geschlossenen Windfang aus Holz mit einer einfachen Brettertür, der als Vorraum zum eigentlichen Hauseingang diente. Dort konnte man die Schuhe an- und ausziehen, die Brennholzkraxn oder das im Haus gekochte Futter für Schweine oder Hühner abstellen, bevor man in den Stall ging.
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts – mit dem aufkommenden Tourismus und den Bedürfnissen der Sommerfrischler nach einem wettergeschützten Übergangsraum folgend – wurde das Brückl größer und zur Veranda. Wie eine Balkonkonstruktion mit Säulen baute man die Veranden an eine Seite des Hauses mittig an, mit einem im rechten Winkel zum Hauptdach stehenden, etwas niedrigeren Dachfirst. Typisch sind die Verzierungen mit Sägearbeiten an den Balkongeländern und Verschalungen der Veranden, die je nach individueller Vorliebe vollständig verglast oder offen gelassen wurden. Verwendet wurden und werden sie als Sommerräume zum Essen und Sitzen. Mit moderner Technik isoliert, fungieren sie inzwischen häufig als Wintergärten.
Weststeiermark: Das Essgangl
Ein an die Längsseite des Haupthauses angebauter gezimmerter Zubau, über den man zur eigentlichen Haustür gelangt – das ist das typisch weststeirische Essgangl. Ausgestattet war es üblicherweise mit einer sogenannten Umadum-Bank, also einer L-, häufiger U-förmig durchlaufenden fixen Holzbank, sowie einem Tisch und einem Stuhl beziehungsweise einem lehnenlosen Bankerl.
Beim Essgangl, das sich bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgen lässt, handelt es sich um eine Art Balkonkonstruktion mit einem gezimmerten, oft verziert geschnitzten Geländer und Holzsäulen in den Ecken, die ein Satteldach tragen, das mit Fichtenholzschindeln gedeckt war; noch früher mit Stroh. Im Winter wurde es zum Wäscheaufhängen verwendet, im Sommer zum Essen. Das Essgangl kann ebenerdig liegen oder im ersten Stock, etwa über einem gemauerten Keller.
In der Ost- und Südsteiermark entwickelte sich ab 1820 die Sonderhausform des Erzherzog-Johann-Hauses, das aus Gründen des Feuerschutzes und der Hygiene nicht mehr aus Holz, sondern aus Lehmziegeln gemauert und auch ziegelgedeckt war. In diesen Häusern gab es den sogenannten Porticus. Er sah aus wie das Essgangl und erfüllte auch dessen Funktionen, war allerdings gemauert und verfügte über ebenfalls gemauerte runde Säulen.
Kärnten: Die Lab'n
Früher prägte der Kärntner Ringhof die Landschaft im ganzen Nockgebiet vom Millstätter See bis Gurk und von der Turrach bis vor Villach. Der Hoftyp mit dem irreführenden, von Peter Rosegger geprägten Namen – es handelt sich nämlich um eine viereckige Anlage – verfügt über das Lab’n genannte Vorhaus, das im rechten Winkel zum Dachfirst über die gesamte Wohnhausbreite verläuft.
Im Sommer gab es hier einen inneren Essplatz, der durch das Öffnen der vorderen und der hinteren Tür des Vorhauses besonders luftig und kühl temperiert werden konnte. In einem Eck der Lab’n stand ein Tisch, bei dem es sich häufig um einen hölzernen Klapptisch handelte, der mithilfe eines an der Wand befestigten Holzgelenks heruntergelassen und mit einem ebenfalls ausklappbaren einzelnen Holzbein aufgestellt werden konnte.
Wien: Die Pawlatsche
In alten Wiener Mietshäusern aus dem 18. und 19. Jahrhundert findet man sie noch gelegentlich: die Pawlatsche. Allerdings ist damit nicht genau das gemeint, was die Herkunft des Wortes vom tschechischen „pavlac“ nahelegt. Das nämlich bedeutet so viel wie offener Hauseingang. In Wien hingegen bezeichnet man so die rundum laufenden, offenen Laubengänge aus Eisen und Holz in den Mietshaushinterhöfen.
Durch die offene Pawlatsche, über die man zu den Eingangstüren kam, ersparte man sich Flächen für Gänge und Vorräume in den Wohnungen selbst. Auch wenn die Pawlatsche nicht eigentlich als Nutzraum gedacht war, wurde sie ausgiebig verwendet: als Abstellkammerl und Minigarten, vor allem aber als Treffpunkt für Plausch und Tratsch, denn im Pawlatschen-Hinterhof bleibt naturgemäß nichts unbeobachtet. Der Bau von Pawlatschengängen wurde nach dem großen Brand im Jahr 1881 verboten.
Vorarlberg: Der Schopf
Der Schopf gehört zu den historischen Bregenzerwälderhäusern, von denen man im „Walde“ über Bregenz bis heute viele findet. Zumeist aus Fichtenholz gebaut, gab es traditionell einen nordseitig und einen südseitig an die Längsseiten des Hauses angebauten Schopf. Der nordseitige, der komplett mit Brettern verschlagen war, wurde als zusätzliche Kammer genützt. Der südseitige Schopf war von außen verschalt bis auf Höhe eines Balkonbaumabschlusses, wo man Blumenkisterln hinstellte, und darüber offen – ähnlich einem überdachten Balkon.
Wollte man diesen Schopf, der als Essraum für den Sommer, aber auch zum Wäscheaufhängen diente, zumachen, ließ man breite Holzbalken herunter, die nach innen aufgeklappt mit Holznägeln an der Decke befestigt waren. An der Schmalseite hat der Schopf einen Jalousiebalken, dessen Lamellen mit einer dünnen Eisenstange bewegt werden konnten.
Oberösterreich: Die Sommerbank
In der Gegend der großen oberösterreichischen Vierkanthöfe zwischen Wels, Steyr und St. Florian nützte man die sogenannte Sommerbank als kühlen Essplatz für die warme Jahreszeit. Zwar handelt es sich eigentlich um einen Platz im Hausinneren, allerdings erfüllte der genau die Funktion eines kühlen, luftigen Übergangsraums zwischen Haus und Hof: Ging man durch die Haustür hinein, fand man sich im großen Vorhaus wieder, das mit seinen hohen Stichkappengewölben und den dicken Außenmauern absolut kühl war. In einem Eck dieses Vorhauses stand die Sommerbank, bestehend aus einem Tisch und Bänken mit Lehnen, wo sommers gegessen wurde. Häufig lag direkt darüber auch ein Außenfenster, das zusätzlich für Luft und Helligkeit sorgte.
Tirol: Der Laubengang
In den Bauernhäusern im Ennstal und Murtal gab es die kaum 70 Zentimeter tiefen Gwandgänge, in großen Teilen Tirols die breiteren Laubengänge.
Der Laubengang verlief außen zwei- oder dreiseitig ums Haus, mitunter im Erdgeschoß und im ersten Stock und war vollständig mit Brettern ohne Schnitzmuster verschlagen. Zu schmal für einen richtigen Tisch, waren die wettergeschützten Lauben viel benutzte, reine Funktionsräume zwischen drinnen und draußen. Dort wurde die Wäsche getrocknet, Zwiebeln oder Knoblauch aufgehängt oder – schattenseitig – Kräuter getrocknet. Der dritte, oberste Laubengang unterm Dach sowie der Raum dahinter wurden oft vollständig mit Heu gefüllt und bildeten so für den Winter eine gute Isolationsschicht.
Burgenland: Der Arkadengang
Sie sind typische Teile der historischen Streckhöfe in den nordburgenländischen Straßendörfern. Die Arkadengänge flankierten den Innenhof des Gebäudes an der Längsseite. Es handelt sich um gemauerte Laubengänge mit Rundbögen, die auf runden Säulen lagern. In den oft weiß gekalkten Arkaden finden sich teilweise Kreuzgewölbe oder Holzstukkatur und Kalkmörteldecken.
In der Regel nicht viel breiter als eineinhalb Meter, waren sie für einen Tisch und somit zum Essen zu schmal. In den Arkadengängen stand in erster Linie eine Hausbank zum Ausruhen und Plaudern. Außerdem wurden sie zum Trocknen der Wäsche oder des Milchgeschirrs verwendet, das durch die Sonne auch gleichzeitig entkeimt wurde.