Über Samhain, Allerheiligen und Halloween
Wenn der November ins Land zieht, muss man nicht auf den Kalender schauen, um zu wissen, welcher Monat ist: Nebelschleier liegen über Wiesen und Wäldern. Äcker liegen brach, die Schwalben sind fortgeflogen. Unsere Pfade und Wege sind gepflastert mit Laub, das alsbald ins Erdreich übergeht.
Es ist die Zeit der stillen Metamorphose: Die Natur beginnt das, was sie mit voller Kraft über den Frühling und den Sommer erschaffen hat, wieder abzubauen. Und während wir diese Phase gemeinhin mit dem Ende eines Jahres verbinden, feierten die Kelten (sie wurden erstmals rund 500 Jahre vor Christus in Mitteleuropa erwähnt, keltische Stämme fanden sich ab circa 200 vor Christus auch im Donautal des heutigen Österreich) die Tage nach dem 11. Neumond bereits als Neujahr. Dieses wurde mit Samhain begangen, einem Fest, das auch in unseren heutigen November-Feierlichkeiten in abgewandelter Form spürbar ist.
Es geht um Ahnenehrung. Um Rückzug, sowohl äußerlich als auch innerlich. Ums Reinigen durch Räuchern. Ums Orakeln. Doch bevor wir weiter eintauchen, versetzen wir uns in die Köpfe der Menschen von damals, also in die vorchristliche Zeit, um zu verstehen, warum der Vorabend des 1. November als Beginn des neuen Jahres gesehen wurde.
Die Kelten empfanden wie die meisten naturverbundenen Völker Zeit nicht linear, sondern als Kreis, der in zwei Hälften geteilt war: in eine helle und eine dunkle Jahreshälfte. Mit dem Übergang zur dunklen Jahreshälfte – Ende Oktober, wenn die Sonne sich nur mehr selten zeigte – war die letzte Ernte eingefahren. Das Vieh stand im Stall. Man schlachtete. Die Stämme kamen zusammen, um Steuern und Abgaben zu entrichten – Samhain bedeutet übersetzt „Versammlung“ und „Zusammenkunft“. Es wurde bewirtet und gefeiert.
Kurz: Das Werk war vollbracht, man zog einen Schlussstrich und konnte danach wieder von Neuem beginnen. Wer es metaphorisch sehen will: Samhain feierte den Umstand, dass im Herbst und Winter das Überflüssige stirbt und nur der Kern bzw. die Essenz übrig bleibt, aus dem wieder etwas wachsen kann. Und: Der Beginn der dunklen Jahreszeit schien auch deshalb ein perfekter Jahresbeginn, weil neues Leben immer im Dunklen – im Bauch der Mutter – beginnt.
Schutzfeuer und Räuchern
Samhain war stets auch von einer gewissen Mystik begleitet. Das Verschwinden der Sonne wurde als Schlacht im Himmel interpretiert. Wetternde Winde und kalte Stürme galten als Ausdruck kriegerischer Götter. Und der Glaube, dass in dieser Schwellenzeit, in der die Welt von hell auf dunkel wechselt, der Schleier zur Anderswelt dünner sei, war durchaus weit verbreitet. Zu Samhain, so hieß es, würden Feen, Kobolde und Waldgeister umgehen, und man könne mit Ahnengeistern leichter in Kontakt treten.
Um diese gnädig zu stimmen, stellte man Geschenke und Speisen bereit – Haselnüsse etwa. Die Hasel war für die Kelten ein wichtiger Strauch. Sie sprachen ihm Weisheit zu und glaubten, dass er das Tor zu anderen Dimensionen öffnen könne. Wünschelrutengeher verwenden nicht ohne Grund bis heute gerne dieses Holz.
In dieser besonderen Zeit, in der die Geister allgegenwärtig schienen, wurde in den Stuben natürlich auch orakelt. Verliebte warfen etwa zwei Haselnüsse auf die heiße Herdplatte. Passierte nichts, so wurde das als Zeichen verstanden, dass das Paar gut zusammenpasste. Platzten die Nüsse auf, sah man Streit und Spannung, und die Verbindung stand unter keinem guten Stern.
Draußen wiederum, auf den Hügeln, wurden am Vorabend des Samhain-Festes Schutzfeuer gegen Geister entzündet. Manche trieben sogar das Vieh durch die Flammen, um es unantastbar für die Anderswelt zu machen. Obendrein wurde das Sammeln von Kräutern mit Samhain eingestellt. Zum einen, weil die Pflanzen ohne Sonne ohnehin keine ätherischen Öle bilden können. Zum anderen überließ man das, was jetzt noch wuchs, ehrfürchtig den Geschöpfen der Mythologie. Um auf Nummer sicher zu gehen, räucherte man auch die Wohnräume und Ställe – ein Brauch, den wir hierzulande von den Raunächten kennen.
Typisch für Samhain war etwa das Räuchern mit Beifuß. Der wacholderartige und leicht harzige Duft öffnet nicht nur die Nase, ihm wird auch nachgesagt, den Geist für die andere Welt zu öffnen. Auch die giftige Eibe kam gerne zum Einsatz, denn „vor Eiben kann kein Zauber bleiben“, sagt der Volksmund. Sie gilt als der Baum der Ewigkeit.
Der Vorläufer von Allerheiligen
Von Samhain sind viele Rituale überliefert. Allerdings wurde die keltisch-irische Mythologie seinerzeit kaum aufgeschrieben, sondern sehr oft mündlich weitergegeben.
Auch wenn Samhain gerne als Vorläufer von Allerheiligen, Allerseelen und dem amerikanischen Halloween gesehen wird – dagegen spricht, dass Allerheiligen ursprünglich rund um Ostern gefeiert und erst im achten Jahrhundert auf den 1. November gelegt wurde.
Außerdem war Samhain kein ausschließliches Totenfest. Die Auseinandersetzung mit den Ahnen war nur ein Teil, man feierte mit Samhain vor allem auch Erntedank, während Allerheiligen immer dazu diente, der Verstorbenen zu gedenken. Es war ursprünglich ein Tag für heilige Märtyrer, später weitete man das Ganze auf alle Verstorbenen aus, mit sehr eindeutigen Symboliken. Der bei uns bekannte Allerheiligenstriezel etwa, ein Germteigzopf, erinnert an den Brauch, dass sich bei Trauer die Frauen die Haare abschnitten.
Auch Astern und Chrysanthemen werden auf den Gräbern nicht nur gepflanzt, weil die Herbstblüher schön aussehen. Die Farbe Violett, die bei Astern oft zu finden ist, steht für Spiritualität, eine höhere Macht und die Anderswelt. Das Gelborange der Chrysanthemen soll den Toten auf ihrem Weg leuchten und ihnen Liebe über den Tod hinaus zeigen.
Trotzdem lässt sich nicht leugnen, dass der Geist von Samhain bis heute spürbar ist und unseren November mitgestaltet. Der Übergang in die dunkle Jahreszeit macht uns Menschen feinfühliger für das, was nicht mehr ist, und das, was man vielleicht mit den menschlichen Augen nicht sehen, aber durchaus spüren kann. Insofern hat die Ahnenehrung, die zu Samhain praktiziert wurde und die wir heute auch im November begehen, schon Sinn.
Und: Die Kirche war bei der Christianisierung schlau genug, heidnische Bräuche zumindest in Ansätzen zuzulassen. Die Menschen konnten so an Althergebrachtem festhalten, während man „neue“ Feste mit christlichen Symboliken und entsprechenden Geschichten schuf.
So soll auch der Martinstag, der am 11. November gefeiert wird, Anleihen bei Samhain nehmen. Die christliche Version erzählt von schnatternden Gänsen, die den heiligen Martin verraten, der er sich im Stall versteckt hat, weil er sich für einen Bischof unwürdig hält. Der deutsche Kulturanthropologe Wolf-Dieter Storl sieht jedoch eine ältere Verbindung von Gänsen mit der dunklen Jahreshälfte. Laut keltischem Glauben nahmen Geistwesen gerne die Gestalt von weißen Gänsen und Schwänen an, ihre Seele konnte damit fliegen. Und dass man das Martinigansl klassischerweise mit Beifuß würzt, sei ebenfalls ein Indiz für Samhain.
Auch Laternenumzüge gehen auf die Kelten zurück. Zu Samhain, so ist überliefert, höhlten die Menschen zum Schutz vor Geistern Futterrüben aus und gaben Lichter hinein. Wie auch immer man den Beginn des November feiern möchte – im Zentrum steht die Innenschau. Wer will, kann diesen Prozess mit der Frage starten: Wovon kann ich mich in meinem Inneren verabschieden, um Platz für Neues zu schaffen?
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