Die „göttliche“ aller Orchideen: der Frauenschuh
Der Frauenschuh gehört zu den Orchideen, wird über 30 Jahre alt und fängt Insekten, obwohl er keine fleischfressende Pflanze ist. Seinen Namen verdankt er der fantastischen Form seiner Blüten – und einer ganzen Reihe von Göttinnen.
Den Frauenschuh kann man nur finden, wenn man nicht nach ihm sucht. Das behauptet zumindest der Volksglaube. Sollte es der Zufall aber doch einmal so einrichten, dass man der größten aller heimischen Orchideen in voller Blüte begegnet, so beschenkt einen die Vorsehung angeblich gleich noch ein zweites Mal – mit einer besonders schönen Frau. Das dürfte vor allem für Männer gelten.
Was sich weibliche Betrachter an glücklichen Fügungen vom Anblick eines Frauenschuhs erwarten dürfen, kolportiert der Volksglaube leider nicht. Eines können sie aber für sich beanspruchen: dass die spektakuläre Blume kulturgeschichtlich eng mit dem weiblichen Prinzip verknüpft ist.
Göttin mit Sandalen aus Orchideen
Im botanischen Namen des schönen Frauenschuhs, Cypripedium calceolus, aus der Familie der Orchideengewächse versteckt sich Kypris, ein anderer Name der griechischen Göttin Aphrodite. Die ist für Liebe, Schönheit, Begierde und Sinnenfreude zuständig. Und für Blumen, Obst und Bäume.
Die Verantwortung für die Fruchtbarkeit teilt sie mit der Göttin Demeter, die in der griechischen Mythologie mit Orchideensandalen über die Erde wandelt, weil sie diesen Blumen vor allen anderen den Vorzug gibt.
Cosmossandalon, Weltsandale, war darum auch der Name, mit dem die alten Griechen gleich jede Orchidee bezeichneten. Und tatsächlich: An einen kleinen zweifärbigen Schuh (lat. calceolus, griech. pedilon) erinnert auch die ungewöhnliche Blütenform des Frauenschuhs.
Sie setzt sich aus einer sonnengelben, kelchförmigen Lippe und vier darüberliegenden purpurvioletten, oft leicht eingedrehten, abstehenden Blütenblättern zusammen – gerade so, als wollte man einen filigranen gelben Schuh mit purpurnen Schuhbändern schnüren.
In Wirklichkeit dienen die Schühchen als Insektenfallen. Über den glatten Rand der Blüte rutschen sie ins Innere und können nicht mehr herausklettern.
Doch der Frauenschuh ist nicht auf Beutefang aus. Er ist keine fleischfressende Pflanze. Die gefangenen Insekten leitet er – mithilfe einer fensterartig transparenten Stelle in der Blüte, die eine Öffnung vortäuscht – über einen ganz bestimmten Parcours zu einem engen Ausgang am hinteren Blütenende. Unterwegs kommt es zur Bestäubung.
Voll mit Pollen, verlassen die Insekten die Blüte wieder und sorgen so für die Verbreitung des Frauenschuhs.
Späte Blüte im Alter von 16 Jahren
Hoch aufgeschossen mit bis zu 60 cm Wuchshöhe steht der Frauenschuh in lichten Wäldern des Alpen- und Voralpenraums auf kalkigen Böden. Am Lech in Tirol findet man ihn genauso wie im Salzkammergut oder am Fuß der Kärntner Karawanken.
Er ist zwar ein rarer Anblick und streng geschützt, aber an geeigneten Standorten bildet er spektakuläre dichte Horste, die im Mai und Juni als blühende Kolonien auftreten.
Grasgrün und gewellt wie Wellpappe sind seine spitzen Blätter.
Mehr als 30 Jahre alt können Frauenschuhe werden.
Da dürfen sie es sich auch erlauben, erst in ihrem 16. Jahr zum ersten Mal zu blühen. Davor grundeln sie unauffällig und unterirdisch herum, leben – wie viele Orchideen – jahrelang in Symbiose mit einem Wurzelpilz, der sie ernährt, und bequemen sich erst nach vier Jahren, ihr allererstes grünes Blatt anzulegen.
Maria mit dem Frauenschuh
Wie alle Pflanzen, die antiken Muttergöttinnen – seien es griechische, römische oder germanische – geweiht waren, ging auch der Frauenschuh in christlicher Zeit auf die Jungfrau Maria über. Diesem Umstand verdankt er gleich eine ganze Reihe von Bei- und Volksnamen: Marienfrauenschuh, Marienschuh, Muttergottesschühle oder Liebfrauenpantöffle.
Eines der berühmtesten Gemälde, die Maria mit einem blühenden Frauenschuh zeigen, ist die „Stuppacher Madonna“ des großen Renaissancemeisters Matthias Grünewald. Das 1519 fertiggestellte Werk zeigt Maria mit einem Strauß blühender Blumen zu ihren Füßen – neben Frauenschuh auch Lilien, Kamille und dornenlose Rosen.
Zu sehen ist das Gemälde in der Pfarrkirche Mariä Krönung in Stuppach, einem Ortsteil von Bad Mergentheim in Baden-Württemberg.
Servus-Empfehlung: In den Auwäldern der Martinau im Naturpark Tiroler Lech kann man zwischen Mitte Mai und Mitte Juni riesige Frauenschuh-Kolonien bewundern.
Frauenschuh (Cypripedium calceolus)
Andere Namen: Gelber Frauenschuh, Marien- frauenschuh oder Europäischer Frauenschuh.
Familie: Orchideen (Orchidaceae).
Blütezeit: Mai und Juni.
Standort: Helle Wälder mit kalkhaltigen Böden im Alpen- und Voralpenraum sind dem Frauenschuh am liebsten.
Pflege: Der Frauenschuh ist streng geschützt. Es ist nur der Handel mit Pflanzen aus gärtnerischer Kultur erlaubt. Diese setzt man im Herbst. Sie in der Natur auszugraben ist streng verboten.
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