Pflanzenporträt Nachtkerze
Ihre Blütezeit ist kurz und viele verschlafen sie im wahrsten Sinn des Wortes, denn sie findet nur in der Nacht bei Dunkelheit statt. Wer das Schauspiel beobachten und den unnachahmlichen Duft der Nachtkerze riechen möchte, muss also spät ins Bett gehen.
Die einen werfen sich bei Tag in Pose, die anderen haben erst in der Abenddämmerung oder nachts ihren großen Auftritt. Das ist bei uns Menschen und bei den Tieren so und bei den Pflanzen nicht anders. Blumen, die sich im abendlichen Zwielicht öffnen und erst in der Dunkelheit duften und leuchten, tun dies, um Nachtfalter und Schwärmer anzulocken.
Das eindrucksvollste Schauspiel im Sommergarten bietet dabei die Nachtkerze: Wenn sich nach Sonnenuntergang langsam die Dunkelheit über den Garten zu senken beginnt, entfalten sich – ausgelöst durch die Abkühlung – die länglichen Knospen der Nachtkerze so rasch zu leuchtend gelben Schalenblüten, dass man mit freiem Auge dabei zusehen kann.
Vom Stanitzel zum Knospen-Windrad
Es ist, als wäre man Zeuge eines Prozesses, den eine Kamera über Stunden aufgezeichnet hat und der nun im Zeitraffer abgespielt wird. In Wahrheit aber dauert das Schauspiel nur einige Minuten. Und es sind immer mehrere Blüten, die sich gleichzeitig öffnen und dann die ganze Nacht über mit einer zarten, süßen Vanillenote duften, um schon am nächsten Tag wieder zu verblühen.
Das Spektakel ist faszinierend: Erst entwindet die Knospe nach und nach ihre dicht gerollte Stanitzelform. Dann faltet sie sich ruckartig zu einer Art Windrad auseinander und klappt schließlich in einem letzten Akt ihre vier Blütenblätter auf. Nach jedem dieser Entfaltungsschritte zittert die gesamte Blüte nach. Dann, wenn es dunkel geworden ist, scheinen nur noch die hellgelben Nachtkerzenblüten etwas vom Tageslicht in sich zu tragen. Es ist beinahe so, als würden sie aus sich selbst heraus leuchten.
Die Wissenschaftler der Barockzeit, die der hochgewachsenen Schönen aus dem Osten Nordamerikas zu Beginn des 17. Jahrhunderts erstmals in Europa begegneten, rätselten, ob sie vielleicht tatsächlich das Sonnenlicht speichere oder aus eigener Kraft luminesziere.
Sinnbild für Vergänglichkeit
Tatsächlich, so weiß man heute, haben die gelben Blütenblätter starke UV-Licht reflektierende Eigenschaften. Jede barocke Schlossgartenanlage, die auf sich hielt, hatte Nachtkerzen in ihren Beeten. Und nach Sonnenuntergang eilten Bewohner und Gäste heran, um ihr dramatisches Erblühen zu bestaunen.
Als die Blume rund 100 Jahre später aus den Gärten der Aristokratie und des wohlhabenden Bürgertums auch den Weg in die Bauerngärten fand, war die „Düsterkerze“ schon zum Sinnbild für die Vergänglichkeit und Flüchtigkeit alles Irdischen geworden. Weil jede ihrer Blüten nur eine Nacht und einen halben Tag lang blüht, unterstellte man ihr auch mangelnden Eifer und nannte sie im Volksmund „Faules Mädchen“.
In der bäuerlichen Umgebung schätzte man aber neben den gesundheitlichen Anwendungen der Nachtkerze noch eine andere besondere Qualität der bis zu zwei Meter hohen Pflanze mit ihren dicht besetzten Blütenkerzen: Im ersten Jahr ihres zweijährigen Lebenszyklus lassen sich die fleischigen Pfahlwurzeln als besonders nähr- und vitaminreiches Wurzelgemüse ernten. In gekochtem Zustand nehmen die Wurzeln eine rosige Farbe an. Deshalb bekamen sie den Volksnamen „Schinkenwurzeln“.
So wurde die Nachtkerze auch dem heiligen Antonius geweiht, dem Schutzpatron der Schweinehirten. Die leicht bitteren Schinkenwurzeln erinnern geschmacklich an Schwarzwurzeln oder jungen Kohlrabi. Lange waren sie fast vergessen, kommen aber als Gemüserarität inzwischen wieder zu neuen Ehren.
Heilsamer Tausendsassa
Die Indianervölker Nordamerikas wussten schon lange um das medizinische Potenzial der Nachtkerze. Alle Teile der Pflanze besitzen blutreinigende, beruhigende und stoffwechselanregende Wirkung. Aus ihr lassen sich Tees gegen Husten, Breiumschläge bei Prellungen und Aufgüsse gegen Magen- und Darmkrämpfe machen. In der heimischen Volksmedizin kannte man vor allem einen Blattaufguss bei Durchfall oder Erkältung.
Der interessanteste Wirkstoff der Nachtkerze wurde aber erst vor ca. 30 Jahren entdeckt: Das Öl der Samen enthält besonders viele ungesättigte Fettsäuren. Bis zu 10 Prozent davon ist die für Stoffwechsel und Hormonhaushalt wichtige Gamma-Linolensäure.
Nachtkerzenöl wird seither gänzlich nebenwirkungsfrei innerlich und äußerlich bei Wechsel- und Menstruationsbeschwerden, Hauterkrankungen, hohem Blutdruck, Verbrennungen, Rheuma, Verdauungs- und Kreislaufbeschwerden oder zur Stärkung des Immunsystems verwendet. Das Öl ist auch eine wichtige Basis für Kosmetika.
Gut zu wissen
Die Nachtkerze ist die Futterpflanze der Raupen des Nachtkerzenschwärmers, werden aber von den geschlüpften Faltern selbst – ihrem Namen zum Trotz – nicht besucht, weil diese zumeist früher fliegen, als die Pflanzen blühen.
Die dreieckigen Pollenkörner der Nachtkerze gehören mit einem Durchmesser von zirka 0,12 mm zu den größten im Pflanzenreich und sind mit freiem Auge gerade noch zu erkennen.
Die Samen der Nachtkerze, deren Öl so heilsam ist, kann man ins Joghurt, in die Suppe und in den Salat geben. Oder man nimmt sie gut zerkaut einfach so zu sich. Geschmacklich sind sie ähnlich unauffällig wie Flohsamen.
Nachtkerze (Oenothera biennis)
Familie: Nachtkerzengewächse (Onagraceae)
Standort und Pflege: Nachtkerzen lieben offene, sonnige und leicht sandige Standorte an Straßenrändern und Bahndämmen, auf Brachflächen, aber auch im Garten. Im ersten Jahr bilden sie nur eine Blattrosette am Boden, im zweiten Jahr blühen sie. Am einfachsten sät man Nachtkerzensamen in der Zeit zwischen Mai und Juni direkt ins Freiland. Man bedeckt sie nur leicht mit Erde und hält sie besonders anfangs frei von Unkraut. Die Pflanzen brauchen so gut wie keine Pflege. Einmal in den Garten geholt, blühen sie immer wieder. Die Samen reifen von August bis Oktober.
Wuchs: 80 bis 100 cm Höhe
Blüte: Becherförmige Blüten ab dem zweiten Jahr, geöffnet nur abends bis vormittags. In dieser Zeit verströmt sie den süßlichen Duft, mit dem sie Insekten anlockt.
Blütezeit: Juni bis September
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