Kannst dich noch erinnern? Schreiben lernen
Servus-Autor Harald Nachförg sinniert mit Augenzwinkern über die Geheimschrift seiner Oma und das Erlernen der Schreib- und Heinzelmännchenschrift.
Jedes einzelne Marmeladeglas zeigte mir die Zunge. Ja gut, es waren nur die Laschen der hellroten Einmachgummis, trotzdem hatte ich immer das Gefühl, die Rex-Kompanie mache sich über mich lustig. Schließlich hatte sie hoch oben am Schlafzimmerkasten meiner Urgroßmutter Aufstellung genommen und war somit für mich unerreichbar. Dabei hätte ich so ein Glas nur allzu gerne in die Hände bekommen.
Gar nicht so sehr wegen des Inhalts, der war – unter uns gesagt – ganz schön sauer, sondern einzig und allein wegen dieser mysteriösen Schrift auf den Etiketten. Ribiselmarmelade war in Kurrent geschrieben. In zackigen Buchstaben, steil aufgerichtet und abfallend – so, als hätte eine Seismografen-Nadel ein kleines Erdbeben verzeichnet. Entziffern konnte ich das Gekrakel zwar nicht, aber ich kannte es von bauchigen Flaschen und porzellanenen Dosen in unserer Apotheke; es gab dem Inhalt was Magisches.
Erst vermutete ich eine Geheimschrift. Da konnte ich allerdings noch nicht schreiben und mühte mich erst an Blockbuchstaben ab. Heute noch hab ich den Geruch des Packpapiers in der Nase, riesige braune Bögen, auf die wir konzentriert A neben A kritzelten, uns dann am B versuchten und so weiter. Zeile für Zeile arbeiteten wir uns bis zum Z durch, ehe wir zur Kleinschreibung, liebevoll Heinzelmännchenschrift genannt, übergingen und schließlich in Lateinschrift die Buchstaben miteinander verbanden.
Schreibst ja schon wie ein Arzt!
Das übten wir freilich bereits in Heften, und mit der Füllfeder und dank Tintentod sah das alles auch ganz manierlich aus – zumindest bis zu dem Moment, als uns der Linienspiegel verboten wurde. Da verlor dann so manche Zeile den Halt. Statt dass die Wörter schnurgerade von links nach rechts marschierten, tanzten immer welche aus der Reihe, oder es bog die Kolonne überhaupt nach unten oder oben ab. Auch gab’s am Blattende oft Stau. Mitunter liefen die Buchstaben sogar aufeinander auf und klebten unleserlich zusammen.
„Schreibst ja schon wie ein Arzt“, wurde man dann gescholten, wobei durchaus ein bisschen Respekt mitklang vorm Herrn Doktor. Ein Grafologe hätte aus dem Gekritzel sicher werweiß was herauslesen können, so viel Persönlichkeit zeigt aber heute kaum noch wer. Jetzt tippt man ja! Die Schreibschrift stirbt aus, wird schon gewarnt.
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Und tatsächlich: In Finnland zum Beispiel steht sie nicht einmal mehr auf dem Lehrplan. Wir erlernten sogar noch die Handschrift unserer Eltern. Schließlich galt es ja, überzeugende Entschuldigungen zu schreiben, warum man leider nicht am Unterricht teilnehmen konnte. Die Schrift meiner Mutter war, trotz vieler Schlaufen, sehr einfach nachzumachen. Die meines Vaters hatte ihre Tücken. Vor allem die Unterschrift. Allein wie er aus dem f von Nachförg eine Art Fahne machte und unters g Wellen setzte – das forderte den Kopisten. Spornte ihn aber auch an, selbst einmal so eine lässige Kraxn hinschmeißen zu können. Man wusste ja nicht, wie weit man es einmal bringen würde.
Als Präsident hast du jedenfalls viele Verträge zu unterzeichnen, und als Superstar musst du Autogramme geben – also wurde viel und schwungvoll geübt in diesen Tagen. Im Führerschein, mit 18, noch ein bissl hoppertatschig, wurde der Stil dann von Reisepass zu Reisepass besser. Und viel mehr musste man ohnehin nicht unterschreiben. Ein paar Schecks vielleicht, den Ehevertrag, die Kreditaufnahme, amtliches Zeugs, basta.
Jetzt, da die Unterschrift sitzt und locker aus dem Handgelenk kommt, ist sie überhaupt nutzlos geworden. Im Zeitalter elektronischer Signaturen braucht man sie genauso wenig, wie man einen Stift halten können muss. Fürs Schreiben, liebe Leute, genügen heute zwei Daumen.
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