Hausbesuch auf der steirischen Gföllalm
Unten im Tal hängt nach einer heftigen Regennacht noch der Dunst. Hier heroben auf der Gföllalm, auf 1.250 Meter Seehöhe, haben sich die Nebelfelder aber längst gelichtet, ja, jetzt kommt sogar die Sonne heraus. Und wir sind auch gleich da.
Endlich! Es war gar nicht so einfach herzukommen. Nach Deutschlandsberg im Weststeirischen erst die steile Straße rauf. Dann in Glashütten die Abzweigung finden, die so leicht zu übersehen ist. Und schließlich mussten wir auch noch eine Forststraße bergaufrumpeln, die früher eine Art Rutsche war für das im Wald geschlagene Holz.
Ruf des Herrgotts Spur
Doch nun ist es geschafft, wir sind auf der Alm. Hinter uns liegt die kärntnerische Weinebene, vor uns reicht die Sicht bis in die Südsteiermark. Und vor der Einfahrt zu Josef und Erna Lichteneggers Almhaus begrüßt uns ein Marterl mit Inschrift. Simon Fößl, der ehemalige Pfarrer von St. Veit an der Glan, hat die Zeilen gedichtet: „In dieser herrlichen Natur bist du auf des Herrgotts Spur, willst ihn noch größer sehn, bleib hier vorm Gföllkreuz stehen.“
Das tun wir. Und tauchen ein in eine Welt, die ebenso gut Schauplatz für den Film „Heidi“ sein könnte wie auch für die vielen gruseligen Wilderergeschichten, die man sich heute noch erzählt.
Hausherr Josef Lichtenegger begrüßt uns zünftig: in Lederhosen, Spenzerl und Trachtenjoppe – zudem sein wettergegerbtes Gesicht, fröhliche, lebenskluge Augen. „Huckts eich nieder zum Stubentisch – denn zuerst wird bei uns gejausnet, bevor wir arbeiten“, brummt er mit stark kärntnerischem Akzent, ganz seiner Abstammung entsprechend.
Also setzten wir uns gleich einmal nieder in der gemütlichen Stube. Während wir selbst gemachten Apfelsaft trinken, ist der Josef schon mittendrin im Geschichtenerzählen. Und verrät uns unter anderem, wie er zu dem prächtigen Auerhahn gekommen ist, der über dem Pritschenbett hängt.
„Nein, so was schießt man nicht. Auch wenn man so ein leidenschaftlicher Jäger ist wie ich“, sagt er. Das Tier habe er auf der Pirsch fast unversehrt im Schnee gefunden. Gefroren. Der Präparator fand später eine Verletzung, an der der Vogel verendet sein dürfte. „So kam ich, ohne der Natur zu schaden, zu etwas ganz Besonderem“, sagt der Waidmann, der für die Hege des 153 Hektar großen Waldgebietes rund ums Haus zuständig ist. „Je mehr du mit den Tieren lebst, umso mehr Respekt hast vor ihnen, und das Schießen tritt in den Hintergrund. Ich sitz viel lieber auf meinem Hochstand und beobachte“, erklärt er uns.
Nicht nur jetzt, als Pensionist, genießt er jede Minute hier; er konnte das auch früher schon, als er noch Chef eines Bauunternehmens war. „Wenn ich über die Weinebene auf die Gföllalm gefahren bin“, sagt er, „hab ich alle Probleme vergessen und bin ein anderer gewesen.“ Kein Wunder, dass er das Almhaus erwarb, als es 1998 drei feine Damen aus Bozen zum Kauf anboten.
„Wir haben das morsche Holz durch gesundes ersetzt, aber immer darauf geachtet, dass der Charakter erhalten bleibt.“
Motoröl und Flugwespen
Ein Schmuckstück war das auf 1.250 Meter Seehöhe gelegene Haus damals freilich nicht. Im Gegenteil. Die Außenwände waren mit Motoröl gebeizt – wohl in der irrigen Annahme, dass so das Holz länger halte. Und Flugwespen hatten sich nahezu überall durchs Gebälk gefressen.
Es dauerte daher ein paar Jahre, bis das Heim der Lichteneggers sein heutiges Gesicht erhielt. „Wir haben das gesamte Dach erneuert und das morsche Holz durch gesundes ersetzt – haben aber immer drauf geachtet, dass der ursprüngliche Charakter erhalten bleibt“, erzählt Erna. Das sieht man an den vielen liebevollen Details draußen und drinnen. Die Dachrinnen etwa sind aus Holz, und im Haus findet man in jeder Ecke schöne, rustikale Reminiszenzen.
Dass die Renovierung so gut gelungen ist und die Atmosphäre so behaglich, verdanken die Lichteneggers auch dem Altzimmermeister von Wolfsberg. „Wir wollten zum Beispiel die kleinen Fensterln größer machen. Aber da hat der Reiter-Franz in der Sekunde sein Veto eingelegt und geschimpft wie ein Rohrspatz, dass die Alten früher aus guten Gründen mit dem Glas gespart haben. Und auch bei anderen Dingen war er sehr achtsam und hat darauf geschaut, dass wir dem Haus nur Gutes tun“, sagt Josef.
Der Bäcker und seine Arznei
Die Alten, ihre Geschichten und Gepflogenheiten sind überhaupt das Lieblingsthema von Josef: „Weil sie sonst in Vergessenheit geraten.“ Als er mit seiner Frau die Gföllalm übernahm, lebte noch ein altes Ehepaar hier, das von den Damen aus Bozen Wohnrecht auf Lebenszeit bekommen hatte. Von diesem Ehepaar, Emilie und Johann hießen sie, hat die Familie viel gelernt. Die beiden waren ihr ganzes Leben auf der Alm. Annehmlichkeiten waren ihnen fremd. Alles, was sie brauchten, brachte einmal in der Woche der Bäcker. Sein Auto war nicht nur ein fahrender Greißlerladen, er hatte auch eine halbe Apotheke mit.
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„Was haben wir mit Emilie und Johann für wunderbare Abende verbracht“, erinnern sich die heutigen Almleut’. Und schon hat Josef wieder eine Geschichte auf Lager: Da war der Dachs, den Johann in einer Falle gefangen hatte. Aber das Tier war nicht tot und biss den Jäger in den Schuh. „Es blieb ihm also nix anderes über, als samt Dachs nach Hause zu humpeln und sich von seiner Frau befreien zu lassen“, erzählt Josef. Es klingt ein bissl nach Jägerlatein – anders als die uralte Begebenheit mit dem Wilderer: Nachdem dieser in der Gegend lange Zeit sein Unwesen getrieben hatte, wurde er schließlich erschossen. „Bis kein Wehklagen mehr zu hören war“, wie man sich erzählt. Der Heustadel ganz in der Nähe, in dem sie ihn erwischt hatten, wurde abgerissen. „Viel Blut an den Blockwänden“, murmelt Josef bedeutungsvoll.
Aber jetzt Schluss damit. Schauen wir uns lieber die schönen Sachen der Lichteneggers an. In der Labn, wie Josef das Vorhaus nennt, hängen zum Beispiel alte landwirtschaftliche Gebrauchsgegenstände. „Früher“, erzählt er, „sind die Schweine bis hier hereingekommen, wenn die Koschpleimer – Küchenabfälle – dagestanden sind.“
Telefon oder Strom?
Erna führt uns durchs Haus. Vom Vorhaus geht’s in die Veranda. „Hier sitzen wir in der Früh, wenn die Sonne glutrot aufgeht“, sagt sie. Im Schlafzimmer nebenan zeigt sie auf das alte Bauernbett: „Solche Dinge wollen die Leut’ heut nimmer, wir haben es vom Flohmarkt. Und weil wir beide nicht sehr groß sind, kommen wir gut damit zurecht, dass früher die Betten kürzer waren.“
Die Kinder der Lichteneggers sind zwar längst schon außer Haus, besuchen die Eltern aber immer wieder gern. Jedes hat seinen eigenen Bereich, Fernseher gibt’s aber bis heute nicht. „Als man Emilie und Johann einst gefragt hat, ob sie Telefon oder Strom wollen, haben die beiden sich gegen Strom und fürs Telefon entschieden – und wir haben es dabei belassen. Ein Aggregat und Photovoltaik reichen für uns“, sagt Josef.
Er schreibt übrigens all die Geschichten für sich und seine Nachkommen auf. Oft in Gstanzln. Und als er unser Leuchten in den Augen sieht, weil es hier heroben so wunderschön ist, sagt er aus dem Stegreif: „I gfrei mi, dass du di so gfreist, dass i mi gfrei.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.
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