Hausbesuch in Söll
Manchmal kann es im Sommer ganz schön frostig werden in den Bergen, sagenhaft. Gerade noch waren wir draußen bei einer zünftigen Jause gesessen, hatten uns herrlichen Speck und Ziegenkäse aufs Brot gelegt und Paradeiser und Radieschen aus dem Garten dazu genascht, als sich der Himmel blitzartig verfinsterte und mit den dunklen Regenwolken die Kälte kam.
Der Wilde Kaiser sieht jetzt noch wilder aus. Aber wen kümmert’s. Wir haben den Kachelofen in der Stube eingeheizt, und wer mal am Ofenbankerl sitzt und sich von der wohligen Wärme den Rücken aufheizen lässt, dem werden Unwetter schnell egal.
„Der große Stein, den du draußen in der Wiese gesehen hast, der ist einmal hier mitten in der Stube gelegen“, sagt Silvia Leihartinger. „Der Boden war deshalb 20 Zentimeter höher. Man ist über eine Stufe hereingekommen, nur weil man sich damals nicht die Mühe gemacht hatte, den Stein zu entfernen. Erst wir haben ihn bei der Renovierung herausgerissen.“
Ein Stein lag in der Stube
Silvia und ihr Mann Peter, der in dem rund 300 Jahre alten, in Söll gelegenen Bauernhaus aufwuchs, wollten den traditionellen Holzriegelbau wieder zu einem Schmuckstück machen. Nicht etwa, dass der Hof komplett verfallen gewesen wäre, aber vor einigen schrecklichen Veränderungen in den 70er-Jahren und dem Zahn der Zeit blieb auch er nicht verschont. Und so gaben die Leihartingers nach eineinhalbjährigen Umbauarbeiten 2009 dem Maroslhof wieder sein altes Aussehen zurück.
„Marosl“ – woher der Name kommt, lässt sich gar nicht so leicht eruieren. „Am wahrscheinlichsten ist, dass er sich von Mure ableitet. Beim Oswald an der Mure könnte es bedeuten“, sagt die Silvia, die sich in alten Büchern nicht nur in Sachen Architektur schlaugemacht hat. „Denn vor dem Haus fließt ja der Stampfangerbach vorbei, der das Geröll vom Gebirge mitgeschwemmt und hier abgeladen hat.“
Der mächtige Stein im Wohnzimmer könnte jedenfalls ein Zeugnis davon sein. Er wurde übrigens mit dem Bagger nach draußen gebracht. Heben hätte ihn kein Mensch können. Und eine Mauer des Hauses war sowieso komplett weggerissen, sodass man auch mit schweren Baumaschinen anrücken konnte.
Gott sei Dank musste nicht in allen Fällen so brutal eingegriffen werden. Den zugeschütteten Keller freizulegen – an den sich der Peter vor allem wegen des schönen Tonnengewölbes noch erinnern konnte – war zwar ebenso eine Herausforderung, dann war’s aber mit gewaltigen Kraftakten im Großen und Ganzen vorbei.
Was natürlich nicht heißt, dass die Detailarbeit unanstrengend gewesen wäre. Die Tischler und Zimmerleute hatten schon einiges zu tun. Mauerlücken in den Schlafzimmern mit alten groben Holztramen zu verkleiden etwa. Oder den Boden in der Stube neu zu verlegen, wofür zum Teil die Bretter aus dem Flur verwendet wurden, für den wiederum wabenförmige, gepresste Betonplatten, wie sie vor 100 Jahren üblich waren, verwendet wurden.
Jesus und der Brandfleck
Die Silvia und der Peter packten ebenfalls tüchtig mit an. Und stießen dabei auf so manchen Schatz. Der alte Bauerntisch in der Stube zum Beispiel war dunkelrot lackiert. „Aber ich hab ihn sandstrahlen lassen, und so ist das IHS, diese feine Holzeinlegearbeit mit dem Monogramm von Jesus Christus, zum Vorschein gekommen“, sagt Silvia. Ein fetter schwarzer Brandfleck allerdings auch. „Der dürfte von einem uralten Bügeleisen stammen“, mutmaßen die Eheleute und freuen sich sogar über diese Entdeckung.
Sie bereuen es keine Sekunde, sich den ganzen Aufwand angetan zu haben. Und man spürt, wie glücklich sie sind, dass ihr Hof heute wieder so dasteht wie einst. Auch wenn sie mit ihren Kindern Sarah und Thomas mittlerweile gleich daneben in einem neuen Haus wohnen. Aber ihr Einsatz war nicht umsonst. Denn jetzt vermieten sie das Bauernhaus in den Ferien. Und so können auch die Gäste dessen Charme genießen.
Schon mit dem mächtigen Schlüssel aufzusperren und den eisernen Knauf der Türschnalle zu drücken ist ein Erlebnis. „Das Schloss ist über 200 Jahre alt und stammt aus der Gegend“, erklärt Silvia und dankt heute noch ihrem Nachbarn, einem Schlosser, der das Teil in seinem Fundus hatte und es ihr gern überließ. Ja, ein bissl Glück hatte sie schon auch bei der Suche nach antiken Einrichtungsgegenständen oder Bauteilen. Kompromisse wollte sie da keine eingehen. Auch nicht bei der Beleuchtung. Wie vor 100 Jahren verlaufen die Stromkabel nicht unter Putz, sondern sichtbar. Und das Licht wird im wahrsten Sinn des Wortes aufgedreht: mit schwarzen Drehschaltern.
Der Peter hatte es ein Haucherl einfacher, kostbare Raritäten aufzustöbern. Er hat die beiden Kachelöfen, mit denen das gesamte 200 Quadratmeter große Haus beheizt wird, gebaut. Ein Prunkstück, jeder für sich. Aber als Hafnermeister werden ihm eben auch öfter wertvolle alte Stücke ganz von selbst zum Abtragen angeboten.
Und so stammen die grünen Jugendstilkacheln am Stubenofen von einem Bauernhof in Westendorf und die in allen Gelbtönen schimmernden Kacheln am Küchenofen von einem Pfarrhof in Hopfgarten. Sie wurden 1798 gefertigt und sind ein ganz besonderes Gut. Ebenso wie die eingefügte, handmodellierte Motivkachel, auf der die Stampfangerkapelle zu sehen ist.
Bevor wir es uns aber in der gemütlichen Küche bequem machen, schauen wir noch schnell in die anderen Zimmer des Hofs. Erst ins Bad, das sich ebenfalls im Erdgeschoß befindet und in dem statt einer Badewanne ein großer Bottich steht. Wie der Waschtisch ist er aus Lärchenholz. „Das Wasser bleibt darin viel länger warm“, erklärt Silvia. Das Bad ist übrigens der einzige Raum, in dem ein Zugeständnis ans moderne Leben gemacht wurde. Es gibt nämlich eine Sauna. Von ihr kann man direkt ins Freie schauen, „auf Obstbäume und den Misthaufen“, sagt die Silvia lachend, „der auf die Hendln und Ziegen große Anziehungskraft hat“. Einen Fernseher braucht da kein Mensch mehr, bei dem Programm.
Die Schnitzer der Zimmermänner
Oben im ersten Stock, in den vier Schlafzimmern, ist wieder alles so, wie es vor Ewigkeiten war. Über den Flur – hier steht ein Zillertaler Bauernkasten von 1823, der einmal einer gewissen Anna Hoflacherin gehört hat – gelangt man auf den Balkon.
In den fast schwarz gewordenen, wettergegerbten Balken des Holzhauses kann man noch die persönlichen Symbole sehen, die jeder Zimmermann eingeschnitzt hat. Was aber nicht sofort auffällt in Anbetracht der malerischen Kulisse vor einem. Mittlerweile hat es ja zu regnen aufgehört. Und der Wilde Kaiser gibt sich nun, da schön langsam auch die Sonne wieder herauskommt, um einiges freundlicher.
Zurück im Haus, wollen wir auch noch neugierig wissen, wohin die Tür führt, die nach hinten rausgeht. Ah! In die Tenne! „Wir haben den Bauernhof so hergerichtet, dass wir ihn sofort wieder als Hof führen können, wenn es uns freut“, sagt der Peter.
Doch die Arbeit ist nun kein Thema. Lieber trinken wir in der Küche ein Schnapserl. Und die Flasche wird natürlich aus dem Keller geholt, jetzt, da es ihn wieder gibt. Über eine Tür im Boden, die mittels Flaschenzug geöffnet wird, geht’s runter in den kühlen, jahrhundertealten Vorratsspeicher.
Das Stamperl nehmen wir aber dann doch lieber oben, auf der riesigen Eckbank, auf der zehn Personen Platz haben. Saugemütlich ist es hier. Und die Stimmung ausgelassen. Denn mittlerweile ist auch die 16-jährige Sarah, die Tochter der Leihartingers, zu uns gestoßen. Sie spielt Hackbrett und hat mit drei Freundinnen die „Pirchbach Soat’nmusig“ gegründet. Bis ins Radio hat es das Quartett schon gebracht. Nun spielt sie gemeinsam mit ihrer Freundin, der Embacher Victoria, für uns auf.
„Eine Freude vertreibt hundert Sorgen“ ist in der Küche mit schöner Schrift auf die Wand gemalt. Wie wahr, wie wahr.