Ein Haus mit Tradition in Traunkirchen
„Eines Tages“, erzählt Alfred Wolsetschläger und lehnt sich gemütlich an die weiße Hauswand gleich neben der uralten Holztür, „steht plötzlich eine Dame vom Hügel dort drüben da und sagt: ,Seit dreiß’g Jahr geh i täglich mit mein Hund hier spazieren, aber heut merk i des erste Mal, dass da imma scho a Haus steht.‘“ Bingo – in den Augen von Wolsetschläger spiegelt sich groß ein Wort: Stolz. Nicht der Stolz auf seinen Besitz. Nein, es ist vielmehr diese ganz tiefe, stolz machende Freude, die einem den Rücken hinunterrieselt, wenn man sich etwas eingebildet hat, von dem man nicht wusste, ob es klappen kann, und das dann zu 100 Prozent aufgegangen ist.
Das Haus von Alfred Wolsetschläger und seiner langjährigen Partnerin Barbara Loidl ist nämlich knappe fünf Jahre jung. Ein waschechter Neubau also – was auch nicht versteckt oder gar verheimlicht wird –, aber eben im Stil der alten Bauernhäuser, wie man sie in der Gegend am Traunsee so um 1730 konstruiert hat: zweckgebunden und den Vorgaben der Natur angepasst. Und bald 300 Jahre später natürlich nach den Anforderungen der modernen Zeit ausgerichtet.
Denn Wolsetschläger und Loidl sind ja auch keine Bauern, obwohl sie sich ein paar Hühner beim Haus und vier Schafe auf einer Bergwiese halten. Die beiden sind ein kreatives Paar, waren 25 Jahre im Grafik- und Designbereich erfolgreich und betreiben seit einem Jahr eine Galerie. Außer einem siebenjährigen Intermezzo in Salzburg-Stadt haben sie Traunkirchen nie verlassen und mit ihren beiden Buben in einem ausgebauten Dachgeschoß im Ort gewohnt.
Ein Grundstück mit Geschichte
Das sei eh fein gewesen, sagt Barbara, aber der Traum von einem eigenen Haus habe sich immer wieder in die arbeitsintensive Realität gezwängt. 15 Jahre klapperten sie die Gegend nach einem alten Haus ab, nie hat eines ganz gepasst. Bis sich Alfred des unbebauten Grundstücks entsann, das seine Eltern vor 40 Jahren gekauft hatten.
Wunderbare Stunden verbrachte er hier als Kind am Bach, der in Sichtweite in eine Mühle mündet. Hier lebte in den Siebzigerjahren die deutsche Ikone Hildegard Knef mit dem britischen Schauspieler David Cameron, nicht gerade still und zurückgezogen. Wenn die dort eine Party schmissen, saßen Alfred und die Traunkirchner Bubenbande vermutlich mit roten Ohren und glänzenden Augen in der Wiese und versuchten etwas vom Treiben mitzubekommen. Heute ist die Mühle in Appartements unterteilt, und Alfred hat sein eigenes Haus, von dem man über die Mühle hinweg einen prachtvollen Blick auf den Traunstein hat. Und die Feste feiert man jetzt auch selbst.
Das Wissen der Altvorderen
Es musste ein Haus mit Seele werden, da waren sich Barbara und Alfred einig, auf keinen Fall künstlich auf alt getrimmt. Vielmehr wollte man das Wissen der Altvorderen aus der Gegend nutzen. Darum holte sich Alfred zunächst Anregungen in Häusern, die der legendäre Gmundner Architekt Prof. Johannes Spalt (1920–2010) umgebaut hatte. Alfred schraubte sich immer mehr in die Materie hinein. Mittlerweile kann er nicht nur über die Funktion von „eisernen Wandkastln“ referieren (darin wurden früher wichtige Sachen aufbewahrt, damit sie ein Feuer überstehen), er hat sich auch beruflich neu orientiert und betreut als künstlerischer Oberleiter ähnliche Bauten in der Gegend.
„Du kommst vom Hundertsten ins Tausendste, und dann weißt erst einen Bruchteil“, sagt Alfred. Also beginnen wir einmal mit dem Grundsätzlichen. Zwei Bauernhausstile gab es hier seinerzeit: den katholischen – etwas üppiger mit vielen Balken – sowie den evangelischen, eher schlichten und funktionellen. Auf Letzteren basiert das Wolsetschläger-Haus. Gewohnt und gelebt wurde früher ebenerdig in niedrigen Räumen, das hohe Holzdach diente als Heulager. Für die Konstruktion der Grundstruktur zog Alfred pensionierte Handwerker aus der Gegend zurate.
Widersinnige Tannen fürs Dach
Beim Dach etwa half ein 76-jähriger Zimmermann, der zwar mit Plänen nicht viel anfangen konnte, aber genau wusste, wie es geht: nur mit widersinnig gewachsenen Bäumen. „Die wachsen nicht gerade“, sagt Alfred, „sie müssen sich im Wald aus der Grube heraus zur Sonne drehen.“ Logischerweise verdrehen sie sich dann als Dachpfosten nicht mehr. Die gerade gewachsenen schon, da hätte man dann das Krachen im Gebälk. Am Pötschenpass fand Alfred 150 Jahre alte Tannen, die widersinnig genug waren.
Gebaut wurde mit neuen Ziegeln und neuem Holz, „weil“, so Alfred, „alt wird’s eh von allein“. Gute Ratschläge hatte auch der Schlögl Sepp, Bildhauer und laut Wolsetschläger ein Guru, was Proportionen und Formen betrifft, immer parat. Er leitete von einem alten Plan des Traunkirchner Klosters die Idee ab, dem Haus einen Knick zu verpassen, damit man Morgen- und Abendsonne besser nutzen kann. Auch wenn man nach außen hin so authentisch wie möglich blieb, plante man die Fenster einen Hauch größer für mehr Licht drinnen. Was aber nur echten Experten auffallen dürfte, denn selbst die Holzsprossen wurden außen verkittet, damit sie optisch so dünn wie anno dazumal wirken.
Das Lebenszentrum: die gute Stube
Das Herzstück des Hauses ist eine große Stube mit offener Küche, Kachelofen und einem alten Esstisch, über dem ein Herrgottswinkel prangt. Wenn man diesen Raum betritt, so spürt man es zunächst nur. Hat man sich einmal hingesetzt, weiß man plötzlich: Hier will man am liebsten nicht mehr aufstehen.
„Ja, es ist ganz gemütlich“, sagt Barbara. Nicht überladen, eher karg eingerichtet, aber jedes Ding in diesem Raum hat eine Geschichte. Ein paar der Gmundner Spiegelkacheln am Ofen etwa holte man vom Grund des Traunsees herauf, weil die alten Teile dort vor Jahrzehnten gern entsorgt wurden. Für den Gewandtrockner, der mit dem Ofen ein selbstverständliches Paar bildet, hat sich Barbara Haselnussstecken von Jägern und alte Rechenstiele von den Bauern besorgt. Das Schaukelpferd wiederum wurde von Alfreds Urgroßvater geschnitzt, der hölzerne Kindersessel kann im Nu zum Zimmerschlitten umgebaut werden.
Fünfzehn Jahre lang hat das Paar alte Stücke auf Flohmärkten gesammelt, ja selbst während des Hausbaus den Eingang noch einmal umgeplant, weil man eine noch schönere, noch ältere Holztür gefunden hatte. Ein Teil der Böden wurde mit Steinen verlegt, in der Stube allerdings geht man auf Tannenbrettern. „Bei Tannen gibt’s keine Schiefern. Sie sind nämlich unlackiert, damit sie atmen können.“ Sauber sind sie trotzdem, weil sie von Barbara mit Seifenlauge und Asche geschrubbt werden.
Ganz oben ist man privat
Während sich im Erdgeschoß neben der Stube nur noch ein Gästewaschraum und die Werkstatt des angehenden Bildhauers Vincent, 18, befinden, ist man unterm Dach mehr privat. Die Konstruktion ist so hoch, dass für Vincent und seinen Bruder Paul, 15, je ein eigenes Zimmer übereinander eingebaut werden konnte. Der Rest ist ein offener Raum – das Refugium der Eltern.
Auch hier wurde nichts lackiert oder gestrichen, das Holz ist roh, die Ziegel sind lediglich weiß gekalkt. Einen Teil nutzt Alfred als Atelier, weil er neuerdings auch Bilder malt, eine Ecke hat sich Barbara als Leseplatz eingerichtet. Und ja, vorm Fenster gibt es einen Balkon, weil das auch immer schon so war. Nur zum Wäschetrocknen, darauf gesessen ist noch nie jemand.
Das wäre auch absurd, kann man doch unten von der Stube aus ins Freie direkt in ein Bauerngartl gehen. Oder ums Eck vorm Haus am Tisch beisammensitzen und die nahezu wilde Natur genießen. Denn der Garten besteht nur aus Wiese und den alten Obstbäumen, die immer schon hier waren. Dazwischen steht zwar jetzt ein Haus, aber das tut ja so, als sei es schon ewig hier.
Dieser Hausbesuch erschien in der September-Ausgabe 2011 des Servus Magazines.
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