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Brauchtum

Bittprozession auf den Bogenberg in Niederbayern

Seit mehr als 500 Jahren wird zu Pfingsten eine 13 Meter lange Votivkerze zum Bogenberg getragen. Warum? Weil die Region einst von einer Plage verschont blieb. Wir sind die Fußwallfahrt mitgegangen, 75 Kilometer weit.

Kerzenwallfahrt von Holzkirchen zum Bogenberg
Foto: Tobias Gerber
Unterwegs bei er Kerzenwallfahrt von Holzkirchen zum Bogenberg.

Die mit rotem Wachs beschichtete Schnur läuft durch einen in Schweineschmalz getränkten Lappen. Das macht sie beim Wickeln um die rund dreizehn Meter messende Fichte geschmeidiger. Vor zwei Jahren schon wurde dieser Baum gefällt, damit er durchs Trocknen an Gewicht verliert. Schließlich muss die Baumkerze 75 Kilometer weit getragen werden. Von Holzkirchen bis hinauf auf den Bogenberg geht die Reise, dort oben wird sie zwei Jahre lang neben dem Altar der Marienkirche, auch gern Bayerns „zweites Altötting“ genannt, stehen. Heute helfen etwa 15 Frauen und Männer auf dem Haslinger-Hof im niederbayerischen Schöfbach mit, um „die lange Stang“ vorzubereiten, die der Wallfahrt ihren Namen gab: Holzkirchener Kerzenwallfahrt.

Das geht nun schon seit mehr als 500 Jahren so. Damals hatten die Holzkirchener das Gelübde abgelegt, der Muttergottes am Bogenberg jedes Jahr ein Kerzenopfer darzubringen. Dafür, dass der Borkenkäfer ihre Wälder verschont. 1471 begann’s, wissen manche Quellen. Seitdem ist die Wallfahrt nur zweimal ausgefallen, im Dreißigjährigen Krieg und 1945. Und selbst damals sollen so manche heimlich wallfahren gegangen sein, heißt es.

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Kerzenwallfahrt von Holzkirchen zum Bogenberg
Foto: Tobias Gerber
Vorbereitung. Die Fichte ist trocken, ihr Stamm wurde von drei Zimmermännern glatt gehobelt. Einer von ihnen, Franz Schwarzmüller, wickelt jetzt die mit Wachs getränkte Schnur rundherum.

Bloß nicht umfallen

Zum ersten Mal in meinem mehr als fünfzigjährigen Leben werde auch ich auf Wallfahrt gehen. 75 Kilometer in zwei Tagen sind wirklich ganz schön viel. Erst recht mit einer rund 50 Kilogramm schweren Kerze, die zwar die meiste Zeit liegend, aber immer wieder auch „stehend“ transportiert wird – zum ersten Mal heute Abend. Da wird die Baumkerze aufrecht in die Holzkirchener Pfarrkirche St. Andreas getragen. Jeder Einzelne der zwölf Träger, die den Balanceakt oft schon von Kindheit an üben, schafft am Stück etwa eine Etappe von anderthalb Minuten. Thomas Haslinger ist einer der besten. Er ist seit zehn Jahren auch der Organisator der Bittprozession. Wie zuvor schon Vater und Opa.

Servus Mondpost

Eines sollte auf der Wallfahrt nie passieren, weil sonst Unheil droht: Die Kerze darf bloß nicht umfallen! Zweimal ist es Überlieferungen zufolge trotzdem geschehen: 1913 und 1938, jeweils ein Jahr vor Ausbruch der Weltkriege. Am Pfingstsamstag um fünf Uhr morgens beginnt die traditionelle Wallfahrt mit einer Andacht in der Kirche. Um zehn Minuten vor sechs setzen sich dann rund 170 Wallfahrer Richtung Vilshofen in Bewegung.

Überraschend viele Familien sind dabei, aber auch viele Einzelgänger, Jüngere wie Ältere. Es dauert nicht lange, da stimme ich in eines der Lieder ein: „Freu dich, du Himmelskönigin“. Nein, man kann sich dem Gruppenerlebnis nicht entziehen. Das Gehtempo ist deutlich schneller als von mir gedacht. Während die Sonne über der Hügelkette des Bayerischen Waldes aufgeht, stehen schon die ersten Anwohner vor ihren Häusern, die Hände meist gefaltet. Sie sprechen mit uns das immerselbe Gebet: „Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir. Du bist gebenedeit unter den Frauen und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus …“ Ave Maria!

Kerzenwallfahrt von Holzkirchen zum Bogenberg
Foto: Tobias Gerber
Es ist geschafft! Die lange Wallfahrtskerze hat ihr Ziel erreicht, sie ist in der Kirche Mariä Himmelfahrt auf dem Bogenberg. Rechts: der Blick vom Donauufer auf Bayerns „zweites Altötting“.

50 Kilometer am ersten Tag

Nach knapp zwei Stunden sind wir in Vilshofen, die Kirche St. Johannes läutet extra für uns die Glocken. Und für die rund 30 weiteren Wallfahrer, die sich uns hier anschließen. Bis Deggendorf soll es heute noch gehen, der Pfarrer macht uns mit ein paar Grußworten Mut. 50 Kilometer am ersten Tag. Mut kann ich gebrauchen. Nach einer Rast in Hofkirchen, für den Ort ist die Kerzenwallfahrt das wichtigste Ereignis des Jahres, geht es gegen halb elf durch die ersten Donau-Auen. Auf etlichen Köpfen schützen nun Strohhüte vor den gnadenlosen Strahlen der Sonne. Links und rechts des Weges stehen Schilf und Klatschmohn. Es sieht aus, als würden sie die Wallfahrer beobachten und sich still im Wind vor ihnen verneigen.

Ich komme mit Pilgern ins Gespräch: Da ist Martin Scheuer, der schon seit 57 Jahren mitgeht und 35 Mal Kerzenträger war. Oder der 85-jährige Josef Krückl, der seine Frau auf der Wallfahrt kennengelernt hat. Wenigstens ein Stück will er dabei sein. Oder Bernhard Bielmeier, ein Waldbesitzer aus dem niederbayerischen Sankt Englmar, der sich einfach nur bedanken möchte, dass auch seine Bäume vom Borkenkäfer verschont wurden.

Irgendwann, es ist längst nachmittags, laufe ich nicht mehr, ich werde gelaufen. So empfinde ich es. Ich bete und singe nun fast wie in Trance, geborgen in dem Zug voller sympathischer Menschen. Ja, ich bin kurz davor, in einen vollkommenen meditativen Zustand zu geraten. Wenn da nicht meine Füße und Beine wären, die ganz weltlich schmerzen und drücken und brennen. Als ich am frühen Abend zur Andacht in der St.-Martins-Kirche der Großen Kreisstadt sitze, friere und zittere ich vor Überanstrengung und möchte einfach nur schlafen. Gleichzeitig bin ich aufgewühlt wie selten in meinem Leben. Doch nach dem Abendbrot sinke ich trotzdem erschöpft und glücklich ins Bett. Und morgen, am Pfingstsonntag, muss ich auch schon wieder um fünf Uhr in der Kirche sein. Die Beine tonnenschwer, aber trotzdem mit neuer Energie.

Beste Radler-Hoibe aller Zeiten

Heute sind es sogar mehr als 300 Wallfahrer, die uns begleiten. 25 Kilometer liegen vor uns. Ich fühle erstaunliche Euphorie. Ob die vielleicht auch zum Teil an den Radler- Halben liegt, die ich unterwegs in Neuhausen und Pfelling getrunken haben? Selten hat mir eine Radler so gut geschmeckt. Wie auch immer, es ist Zeit für ein Geständnis: Als wir gegen Mittag die Stadt Bogen erreichen, die Straßen gesäumt mit Zuschauern, füllen sich meine Augen mit Tränen. Und damit bin ich nicht allein. An seine eigenen Grenzen gehen, ja, das haben alle in unserer Gruppe getan.

Vielleicht sogar ein bisschen darüber hinaus. Es ist eine Mischung aus Schmerz und Stolz, verbunden mit dem für mich überwältigenden Gemeinschaftsgefühl, das mich so überraschend emotional macht. Und die letzten, brutal steilen Meter hinauf zur Wallfahrtskirche Mariä Himmelfahrt werden für mich für immer unvergesslich bleiben. Die Holzkirchener Wallfahrt, sie hat mich auch wieder ein Stück zu mir selbst geführt.

Text: Stefan Ruzas

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