Das Preberschießen im Salzburger Lungau
Hier trifft nur, wer danebenschießt. Seit 1834 pflegen die Menschen am Lungauer Prebersee einen Brauch, der selbst Walt Disney faszinierte und Physikern bis heute Rätsel aufgibt.
Text: Andreas Oberndorfer Fotos: Peter Podpera
Die Stimmung in der Hütte am Ufer des Prebersees ist prächtig. An den Tischen haben gut 80 Leute Platz gefunden, vorwiegend in traditioneller Tracht, aber nicht folkloristisch aufgeputzt; noch einmal so viele sitzen draußen in der Sonne. Sie essen, trinken und unterhalten sich recht lautstark, die meisten sind schon ein paar Stunden hier.
Alle paar Minuten wird ein Name aufgerufen. Der Schütze (oder oft auch die Schützin) geht an die Vorderseite des Raumes, der mit einer Holz-Glas-Wand vom Schießstand abgetrennt ist, nimmt ein Kleinkalibergewehr, dann wird der Schießplatz zugewiesen. Am Ufer gegenüber, in 120 m Entfernung, soll er oder sie jetzt, bitte schön, in die Mitte einer Scheibe von 22,5 cm Durchmesser treffen, deren Mittelpunkt sich etwa 90 cm oberhalb der Wasseroberfläche befindet.
ALLES BEGANN MIT EINEM ZUFALL UND EINER ENTE, DIE MIT DEM LEBEN DAVONKAM.
Heute schießen wieder alle weit daneben. Die kleinkalibrigen Geschosse von gut 150 Schützen schlagen allesamt mehr als einen Meter vor dem Ziel aufs Wasser. Was ist los? Haben alle zu viel oder gar zu wenig Zielwasser getrunken? Oder ist das berechnende Absicht?
Natürlich ist es Absicht, und genau berechnet ist es auch. Denn hier am Prebersee geht es nicht um simples Scheiben-, sondern um gekonntes Danebenschießen. Wer richtig auf das Spiegelbild der Scheibe im Wasser zielt, trifft ins Schwarze. Die Kugel „gellert“ im besten Fall nämlich vom Wasser so ab, dass sie – bei ebenso ruhiger Schützenhand wie Wasseroberfläche – mitten auf die Zielscheibe trifft. Ein weltweit einzigartiges Phänomen. Verantwortlich dafür: das Wasser – und damit ist nicht das Zielwasser gemeint.
Wir sind am östlichen Ende des Lungaus, nordöstlich von Tamsweg. Hier steht der Preber, ein mehr als 2.700 m hoher Gipfel der Niederen Tauern; über diesen Gipfel verläuft die Landesgrenze zwischen Salzburg und der Steiermark. Am Fuße des Berges liegt der See. Er zeichnet sich durch ein physikalisches Phänomen aus, das im frühen 19. Jahrhundert zufällig bei einer Entenjagd entdeckt wurde: Gewehrkugeln, die auf die Wasseroberfläche treffen, werden von dieser wieder hinaufgeschleudert. Das rettete einst einer Ente das Leben und wurde zu einer regionalen Attraktion. Die Einheimischen begannen nämlich, mit diesem Effekt zu experimentieren; daraus entstand das Preberschießen.
Es ist nicht eine aus irgendwelchen Gründen besonders starke Oberflächenspannung, die heute die Patronen abprallen lässt. Die Kugeln schlagen vielmehr eine drei bis fünf Zentimeter tiefe Mulde ins Wasser, bevor sie als Querschläger wieder herauskommen.
Heimo Waibl, seit 2005 Oberschützenmeister am Prebersee: „Genau weiß keiner, warum das so ist. Der Prebersee ist halt ein Moorsee, sein Wasser ist sehr weich. Es haben schon viele versucht, das Rätsel zu entschlüsseln. 1957 waren sogar Leute von Walt Disney hier, weil sie den See für ihre Disneyworld nachbauen wollten.“ Sie hatten den See und das Gelände rundherum zentimetergenau vermessen und gefilmt, Wasserproben gezogen und analysiert, um eine exakte Kopie in Florida hinzustellen, weil sie sich für ihr Unterhaltungsgelände eine Weltsensation erhofften.
Vergebens. Keiner kann den Prebersee nachmachen. Außer die Natur selbst. Denn gleich um die Ecke, im steirischen Krakautal, auf dem Weg nach Murau, gibt es den Schattensee, der ist ein bisschen kleiner und intimer. Dort funktioniert das Spiegelbildschießen auch.
Versöhnte Rivalen und eine Theorie
Es wird schon lange vermutet, dass die beiden Seen unterirdisch in Verbindung stünden und das gleiche Wasser hätten. Heimo Waibl lächelt auf die Frage nach Belegen dafür verschmitzt: „Na ja, einmal ist das Gerücht gegangen, dass drüben im Schattensee eine Kuh ertrunken ist, und ein paar Tage später hat man bei uns im Prebersee ein Joch gefunden ...“
Auch am Schattensee gibt es einen Schützenverein, der veranstaltet natürlich ein Schattenseeschießen. Bis vor einigen Jahren waren sich die beiden Schützenscharen gar nicht grün. Seit Waibl im Amt ist, verträgt man sich über die Landesgrenzen hinweg. Heute ist der Obmann der Schattenseer Mitglied bei den Preberschützen, und so ist es auch umgekehrt.
Der Oberschützenmeister geht mit uns zum Schießstand zurück. Wir treffen Peter Kröll und Florian Frühstückl. Herr Kröll ist zweitens ein exzellenter Schütze, ein Abräumer gewissermaßen, obwohl er erst seit zwölf Jahren beim Verein ist, Waibl und Frühstückl sind schon seit gut 45 Jahren dabei; erstens aber Maler und für die Herstellung der pittoresken Schießscheiben zuständig, die im Schützenhaus an der Decke und den Wänden hängen. Und es obliegt ihm die Wartung der nach einem Schießen arg ramponierten Zielscheiben.
An seinem Hut stecken reichlich Abzeichen, ebenso wie an jenem von Florian Frühstückl. Zu dessen Ehren findet das heutige Schießen übrigens statt. Er ist 60 geworden und hat gerade 100 Punkte geschossen, mehr geht nicht. Und er hat die Finanzierung des neuen Schützenhauses organisiert, das stolze 350.000 Euro gekostet hat. Vom anderen Ufer, wo die Zielscheiben stehen, ertönt das laute Geläut einer Kuhglocke. „Jetzt hat einer ein Blattl geschossen“, sagt Waibl.
Strenge Regeln und kleine Schlaucherln
Der Ablauf eines Preberschießens gehorcht sehr strengen Regeln. Beim Wasserschießen zielt der Schütze auf das Spiegelbild einer von sechs Scheiben. Die getroffenen Ringe zählen, von sechs bis zehn, von außen nach innen. Die Zehn bekommt man bei einem Treffer in die Mitte, aufs sogenannte Blatt. Für das Schlussergebnis zählen die Blattschüsse mehr als noch so viele Neuner oder Achter. Es gewinnt also der Schütze mit den meisten Blattschüssen, nicht der mit den meisten Punkten.
Beim Großen Preberschießen, das jährlich am letzten August-Wochenende ausgetragen wird, gibt es in der Mitte des Blattls noch einen kleineren Kreis. Wer da hineintrifft, bekommt nicht nur das getroffene Blatt als Trophäe, sondern auch ein silbernes Abzeichen mit den Umrissen einer Hexe. Wenn mehrere Schützen eine Hex geschossen haben, werden die Blattln mit einer Teilermaschine vermessen. Wer dem Zentrum von allen am nächsten war, erhält zur Silbernen auch noch die Goldene Hex, die er sich dann an den Hut steckt. Der Peter Kröll zum Beispiel hat so eine Hex und trägt sie voller Stolz.
Es gibt natürlich auch unter den ehrenwerten Preberschützen und deren Gästen manchmal Schlaucherln, die gleich auf die Scheiben schießen – in der Hoffnung, unentdeckt einen Erfolg einzuheimsen. Sie sind freilich chancenlos. Die Patronen, die nicht durchs Wasser geflogen sind, hinterlassen verräterische Metallabriebspuren, solche Einschüsse werden als Fisch gewertet, die hiesige Bezeichnung für einen kompletten Fehlschuss. Naheliegenderweise: Wer die Scheibe gar nicht trifft, hat eben ins Wasser ge- und einen Fisch erschossen.
Zuerst aufs Wasser, dann aufs Wild
Rechts neben dem Wasserziel stehen die Wildscheiben: Hier wird erlaubterweise direkt und nicht auf die Spiegelung gezielt, gemalte Rehböcke und Gämsen gilt es zu treffen. Und hier wird nach Punkten gewertet. Jeder Schütze muss sowohl am Wasser als auch bei den Wildscheiben antreten. Der Sieg hier zählt aber weniger als jener am Wasser, und ein Wasser-Sieger muss gegebenenfalls seine Bestleistung am Wild-Stand als Streichresultat akzeptieren. Zweimal gewinnen gibt es bei einem Preberschießen nämlich nicht.
Das erste Preberschießen fand 1834 statt. In jener Zeit gab es keinen jährlichen Rhythmus, es kamen Schützen, wann immer sie einen Anlass fanden. Hundertschaften von Tamswegern zogen im vorigen Jahrhundert für ganze Wochen hierher, wenn einer der ihren etwas zu feiern und die Mittel hatte, seine Gefolgschaft dazu einzuladen.
Heute wird nach einem fixen Jahreskalender geschossen: Am ersten Juni-Wochenende gibt es das Eröffnungsschießen, am letzten August-Wochenende das Große Preberschießen, zu dem befreundete Schützenvereine aus nah und fern eingeladen werden. Und Anfang Oktober trifft sich der engste Kreis der Preberschützen zu einem sehr intimen Schlussschießen.
Sorgen um den Fortbestand dieses alten Brauches macht man sich nicht, im Gegenteil: Die Freunde des Preberschießens werden immer mehr. Und das mag auch ein bisschen an den Regeln liegen, die nicht so geübte Schützen mitunter bevorzugen. Heimo Waibl: „Vor vier, fünf Jahren war ein Gast aus Passau bei uns. Bei 20 Schuss aufs Wasser hat er 19 Fisch gehabt, und dann mit dem letzten Schuss eine Hex. Damit hat er gewonnen! Seither kommen jedes Jahr noch mehr Passauer her zu uns. So gehört’s!“
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