Die Legende vom Stifterl
Von einer kleinen Flasche, die in die Luft ging, um mit rotem Wein den Himmel zu erobern.
Bekanntlich ist es hierzulande üblich, Dinge – und auch Menschen – ein wenig liebenswerter zu benennen, indem man die Namen verkleinert, man könnte auch sagen: verniedlicht. Und so gibt es das Apferl, das Semmerl, das Weinderl, aber auch das Glaserl oder den Wolferl.
Warum sollte folgerichtig ein kleines klösterliches Stift nicht Stifterl genannt werden? Und mit dieser Annahme sind wir auch schon nahe an jenem Stifterl dran, von dem hier die Rede sein soll.
Ein Windstoß und seine Folgen
Als Markgraf Leopold III. am Beginn des 12. Jahrhunderts seine Agnes heiratete, blies bei den Feierlichkeiten ein Windstoß der Braut den Hochzeitsschleier fort. Dort, wo der Schleier wieder gefunden wurde, ließ der Babenberger den Grundstein für seine Residenz legen, nahe der heutigen Stiftskirche Klosterneuburg.
Anno 1114 holte der Markgraf den Orden der Augustiner Chorherren nach Klosterneuburg, der seitdem nicht nur religiös und kulturell wirkt, sondern auch wirtschaftlich, und das höchst erfolgreich. Dazu trägt der seit nunmehr 900 Jahren betriebene Obst und Weinbau wesentlich bei.
Als die Austrian Airlines in den 1950er Jahren mit dem Wunsch an das Weingut Stift Klosterneuburg herantraten, für Fluggäste der ersten Klasse Rotwein in kleine Flaschen abzufüllen, nahm man sich des ungewöhnlichen Auftrags an. Die eigens dafür entworfene Flasche mit dem eingeprägten Stiftswappen fasste das Volumen einer halben Bouteille, also 0,375 Liter. Und erstmalig wurde Fluggästen kein französischer Rotwein mehr angeboten, sondern heimischer St. Laurent.
Es war der beste Rotwein aus dem Keller, den Österreichs ältestes Weingut so auf die Reise um die Welt schickte. Und in der alltäglichen Umgangssprache des Flugpersonals mit seinen Gästen wurde aus dem Flascherl vom Stift alsbald das niedliche Stifterl.
Eine willkommene Erweiterung
Heute werden in Österreich auch Flaschen mit einem noch kleineren Fassungsvermögen als 0,375 Liter als Stifterl (mundartlich auch „Stiftl“) bezeichnet, egal ob sie nun aus Klosterneuburg oder woanders herkommen.
Diese kleinen Flaschen finden sich auch immer häufiger auf Weinkarten in Restaurants. Sie stellen eine willkommene Erweiterung der glasweise angebotenen Tröpferl dar – vor allem für allein Speisende, denen ein normales Flascherl vom Weinderl einfach zu viel ist ...
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