Wie Pflanzen uns die Zeit anzeigen
Die Blumenuhr ist ein Wunderwerk aus alten Tagen, als es noch keine Taschenuhren gab. Damals musste man sich auch bei der Zeit an die Natur halten.
Vor allem Bauern richteten sich einst nicht nur bei der Bestimmung des Wetters, sondern auch bei der Zeit nach den Pflanzen. So blickten sie bei der Arbeit auf den Wiesenbocksbart, denn der wird schon ab 12 Uhr „schlafmüde“ und signalisierte die Zeit für die Mittagspause. Im bayrischen „Kräutersegen“ von Erna Zimmermann aus dem Jahre 1896 wird der Blühbeginn der Pflanzen nett verglichen: Es herrscht ein großer Unterschied wie zwischen dem Aufstehen eines gesunden kräftigen Bauernmädchens und dem Erwachen einer über dem Roman lesenden spät eingeschlafenen Modedame.
Die wissenschaftliche Erkenntnis, dass jede Blüte einen festen Tagesablauf hat, geht auf den schwedischen Naturwissenschaftler Carl von Linné (1707–1778) zurück. Er erkannte, dass bestimmte Pflanzen sich genau nach der Uhrzeit halten. Dahinter steckt ein fantastisches System der Natur: Rund um die Uhr stehen Nektar und Pollen für die vielen Insekten zur Bestäubung zur Verfügung.
Linné ließ bei sich daheim ein Blumenbeet in Form einer Uhr anlegen. Angeblich konnte er, wenn er aus dem Fenster seines Arbeitszimmers blickte, bis auf fünf Minuten genau die Zeit anhand der Blumen bestimmen.
Sollte man im eigenen Garten eine Blumenuhr anlegen wollen, muss man daran denken, dass die Öffnungs- und Schließzeiten der Blüten von der geografischen Lage und deren Klima abhängen.
Eine prächtige Blumenuhr kann man übrigens auf der Insel Mainau im Bodensee bestaunen.
Weiße Seerose
Öffnet sich um 7 Uhr früh
Nymphaea alba verdankt ihren lateinischen Namen den Nymphen und stand symbolisch für Reinheit und Keuschheit, weshalb die Samen vor allem in Klöstern als Anaphrodisiakum verwendet wurden.
Kleines Habichtskraut
Öffnet sich um 8 Uhr Morgens, schließt sich um 14 Uhr
Hieracium pilosella blüht von Mai bis Oktober und wird in der Volksmedizin als Leberheilkraut genutzt. Die winzige Pflanze eignet sich gut für trockene Stellen im Wildpflanzengarten.
Sprossende Felsennelke
Schließt sich um 13 Uhr
Petrorhagia prolifera ist botanisch eine Angehörige der Nelkengewächse. Sie braucht viel Sonne und sollte im Wildgarten an einem lichten Platz stehen. Blüht von Juni bis Oktober.
Tausendguldenkraut
Öffnet sich um 9 Uhr
Centaurium erythraea blüht in trockenen Wiesen von Juli bis September. Die Pflanze braucht viel Sonnenschein und schließt die Blüten bei Einbruch der Dunkelheit. Das bittere Kräutlein hilft bei allen Formen von Magenschwäche.
Ackergauchheil
Öffnet sich um 9 Uhr Morgens, schließt sich um 14 Uhr
Anagallis arvensis ist ein unscheinbares, giftiges Pflänzchen, das man einst „Wetterglas des armen Mannes“ nannte. Es wird heute nur noch in der Homöopathie zum Ausleiten von Fremdkörpern genutzt.
Gemüse-Gänsedistel
Öffnet sich um 5 Uhr Morgens, schließt sich um 12 Uhr Mittags
Sonchus oleraceus wurde früher wie Gemüse angebaut, ist heute aber nur mehr eine Pflanze der Unkrautfluren. Wild gesammelt, kann sie zu Salaten gegeben werden.
Gemeine Wegwarte
Öffnet sich um 6 Uhr, schließt sich ab 12 Uhr
Cichorium intybus wächst an Wegesrändern angeblich deshalb, weil eine verliebte Prinzessin ihre blauen Augen beim Warten auf ihren Geliebten dort vergoss und daraus die Wegwarten entstanden.
Wunderblume
Öffnet sich erst ab 16 Uhr
Mirabilis jalapa wird seit Anfang des 16. Jahrhunderts bei uns kultiviert. Ihren Namen hat sie daher, weil jede ihrer Blüten unterschiedlich gefärbt ist. In England nennt man sie four o’clock plant, weil sie mit ihrem Duft die Teatime einläutet.
Ringelblume
Öffnet sich ab 7 Uhr Morgens, schließt sich um 13 Uhr
Calendula officinali sollte in jedem Haushalt in Form einer Wundsalbe vorrätig sein und kann auch das Wetter vorhersagen. Ist sie morgens um 7 Uhr noch geschlossen, deutet das auf Regen hin.