Besuch in der Salzburger Schirmmanufaktur Kirchtag
Es gibt Dinge, die gehören zum Leben einfach dazu, ohne sich groß wichtig zu machen. Alltagsgegenstände eben, nützlich und so selbstverständlich, dass man ihnen selten mehr als zwei Gedanken widmet. Einen, wenn man sie kauft, und den zweiten, wenn sie plötzlich nicht mehr da sind. Gut, mit einer Gabel oder einem Schuhlöffel passiert einem Letzteres nicht so häufig, weil man mit ihnen kaum das Haus verlässt. Der Schirm aber, der Schirm ist prädestiniert dafür, irgendwo achtlos vergessen zu werden. Und erst wenn’s wieder regnet, wird er, hoppla, plötzlich vermisst.
„Wer einen Schirm von uns selbst bezahlt“, sagt Andreas Kirchtag von der gleichnamigen Schirm-Manufaktur in Salzburg, „der verliert ihn auch nicht.“ Mehr als 200 Euro sollten als Therapie gegen Vergesslichkeit genügen. Gegen Achtlosigkeit wirkt allein schon die Anmut des komplett handgefertigten Objekts, von dem im Jahr nur 400 Stück gemacht werden.
Draußen in der Getreidegasse bestimmen derweil asiatische Kunststoffprodukte das Bild. Sie zeigen entweder zusammengeklappt über den Köpfen der wogenden Massen steil gen Himmel, als Zeichen der Fremdenführer, damit auch jeder wieder sein Grüppchen findet. Oder sie werden als Schutz gegen die Witterung eingesetzt. Ob Sonne oder Regen, so ein transportables Dach über dem Kopf gibt Sicherheit.
Wer einen Schirm von Kirchtag selbst bezahlt, der verliert ihn auch nicht.Andreas Kirchtag
Ein Schutzdach für den Bischof
1.185 Liter Regen pro Quadratmeter fallen in Salzburg-Stadt durchschnittlich im Jahr, doppelt so viel wie in Wien oder Eisenstadt. Daher verwundert es kaum, dass die erste schriftliche Erwähnung eines Regenschirms aus dem Jahr 800 Bischof Arno von Salzburg betraf. „Ich sende dir ein Schutzdach“, schrieb Abt Alcuin von Tours im Begleitbrief, „damit es von deinem verehrungswürdigen Haupte den Regen abhalte.“ Dabei wurde das nützliche Objekt ursprünglich als Schattenspender erfunden.
Umbra heißt lateinisch der Schatten, woraus die Engländer in poetischer Verniedlichung ihren umbrella machten. Britischer Humor, weil vor zu viel Sonne braucht sich auf der Insel wohl keiner zu fürchten. Die Franzosen nannten das Ding dann beim Namen: para (= gegen) plui (= Regen). Was wiederum den Österreichern sehr gut gefiel, die den Schirm mancherorts noch heute gerne Paraplü nennen.
Während also draußen Nylon mehr alibimäßig und flatternd übers Haupt gehalten wird, spannt drinnen Andreas Kirchtag sein Prachtexemplar zur Demonstration auf. Ein richtiges Dach entfaltet sich da als Halbkugel, und satt rastet der Schieber in der oberen Feder ein. Allein der Holzgriff liegt so geschmeidig in der Hand, dass man ihn gar nicht mehr loslassen möchte.
500 Kilo Baumstämme – Schwarzdorn, Kirsche, Eiche, Nuss und Esche – kauft der Salzburger im Jahr. „Nur langfasrige Sorten“, sagt er, „die lassen sich besser biegen.“ Nach dem Zuschnitt werden diese dann in einer Stock-Manufaktur zwei Tage über Dampf gebogen. Unter starkem Druck, und sollte einer brechen, macht man bei Kirchtag einfach einen edlen Spazierstock mit verzierten Silbergriffen daraus.
Die gelungenen aber werden zunächst zur Imprägnierung mit Leinöl bepinselt und müssen ein Dreivierteljahr lang trocknen. Dann werden sie per Hand geschliffen – „je feiner, desto besser kommt die Maserung heraus“, sagt Andreas Kirchtag – und zu guter Letzt mit Bienenwachs behandelt.
Genau so, wie es schon Andreas’ Urgroßvater Alois gemacht hat, der 1903 in der Getreidegasse 50 ein „Sonn- und Regenschirmgeschäft“ eröffnete. Nach einem Intermezzo auf Hausnummer 42 übersiedelte die Manufaktur 1942 in das Haus aus dem 13. Jahrhundert auf Nummer 22, wo sie heute noch ist. Mit einem Straßengeschäft unten und mit einer Werkstatt ganz oben im Dach. Hier lagert in den verwinkelten Gängen und winzigen Räumen ein Sammelsurium an Bestandteilen in einem schier unüberblickbaren Chaos. Arretnägel zuhauf, Zwingen aus Horn und Messing, dazwischen Schieber und Kronen aus verschiedensten Metallen, ganz so, als hätte in den letzten 70 Jahren hier jeder etwas irgendwo hingelegt, im festen Vertrauen, es dort auch wieder zu finden. Weil Suchen allerdings nicht zu den Hauptaufgaben eines Schirmmachers gehört, versucht man seit einiger Zeit ein System ins Wirrwarr zu bringen. Erfolg nicht ausgeschlossen.
Das Wissen der alten Schirmmacher
Hauptsache, Tobias Ott findet sich zurecht, schließlich ist er für den Herzteil, also für Konstruktion und Gestell, zuständig. Er kommt aus dem nahen Berchtesgadener Land, aus Hammerau, und ist eigentlich gelernter Schindelmacher. „Schirmmacher als Lehrberuf hat einst zu den Hutmachern und Modisten gehört“, sagt Andreas Kirchtag, „gibt es aber schon lange nicht mehr.“
Seit den 1980er-Jahren werden Schirme fabriksmäßig in Asien billig erzeugt, und bei Kirchtag musste man sich umorientieren. Man verlegte sich auf den Verkauf von feinen Lederwaren, unterm Dach wurden nur mehr kaputte Schirme repariert. Als Andreas Kirchtag vor 20 Jahren in den Familienbetrieb einstieg, fand er das zutiefst schade. „Bei uns gab es ja noch das Wissen“, sagt er, „und das Material. Ich wollte nicht, dass das Handwerk in Vergessenheit gerät.“ Also ließ er die Schirmmacher-Maschine anwerfen und zwei schwarze Herrenschirme nach alter Manier anfertigen. Im Nu waren diese verkauft, und Andreas Kirchtag wusste, dass er auf dem richtigen Weg war.
Angelernt von den alten Meistern, steht heute Tobias Ott an der Maschine und spannt den Stock ein, um ihn zu polieren, zu drechseln und an den exakt richtigen Stellen zarte Kerben zu fräsen. Hier werden die obere und die untere Feder eingesetzt, für die man bei Kirchtag Klaviersaitendraht verwendet. Nicht weil hier die Musik spielen soll, sondern weil sie ewig halten, wie Andreas Kirchtag versichert.
Mit absoluter Präzision verpasst Tobias Ott dem Holzstock unendlich viele Einzelteile und montiert schließlich die Dachteile samt Gabel. „Ganz wichtig“, sagt er, „hier muss die Spannung stimmen, sonst wird der Schirm zu rund oder zu flach.“ An die fünf Stunden wird insgesamt an so einem Schirm gearbeitet, heute ist es übrigens ein zehnteiliger Sechsundsiebziger.
Die handgefertigten Kirchtag-Modelle gibt es in drei Größen: 63 Zentimeter für Frauen, 66 und 76 Zentimeter für Herren. „Nichts ist peinlicher“, sagt Andreas Kirchtag, „als wenn jemand zu klein für seinen Schirm ist.“ Und damit wirklich alle Proportionen stimmen, wird der Stoff bei den kleinen Schirmen aus acht und bei den großen aus zehn Teilen zusammengenäht.
Die Schablonen dafür stammen noch vom Urgroßvater und werden von Näherin Monika Weisshaupt mit äußerster Genauigkeit auf den Stoff gelegt. Ein Mischgewebe aus Baumwolle und Polyester, das in einer Weberei in Italien eigens für die Salzburger Manufaktur hergestellt wird. In prächtigem Rot, Gelb, Grün oder Schwarz mit einer bunt gestreiften Bordüre, so wie es bei Trachtenschirmen immer schon Tradition war. Zugeschnitten kann das wasserdichte Gewebe allerdings nur händisch mit der Schere werden, da es sonst ausfranst.
Auch in der Schneiderei sind es die liebevollen Details, die den Gebrauchsgegenstand zum wertvollen Einzelstück erheben. So wird an jeder Stange per Hand ein Stückchen Stoff eingenäht, damit sowohl die Bespannung als auch der Holzstock nicht unter dem Metall leiden. Zwischen Krone und Scheibe – da, wo andere Schirme einen Metallring zum Abdichten haben – hat der Kirchtag-Schirm ein handgenähtes Schopperl. „Das haben wir so getauft“, sagt Andreas Kirchtag, „in der Fachsprache kennt man das gar nicht.“ Zum Schluss wird noch ein Bändchen mit einem kleinen Perlmuttknopf aufgenäht, damit der Schirm auch zusammengeklappt eine gute Figur macht.
Das Meiste passiert beim Aufspannen
Natürlich könne man die Arbeitszeit in den Preis gar nicht einrechnen, sagt Andreas Kirchtag. Dieser setzt sich nur aus den Materialien zusammen, die bis auf das bisschen wasserabweisende Synthetik beim Stoff allesamt natürlich sind. Sogar zum Kleben wird statt Pattex Fischöl und statt Heißleim Steinkitt genommen. Die Zwinge ist aus Horn und der Schieber aus Messing mit einer eingravierten Nummer.
Eigentlich eine reine Spielerei, denn selbstverständlich kann man in der Manufaktur die eigenen Schirme auf 200 Meter Entfernung erkennen. Deshalb braucht man keinen Nachweis, wenn man ihn zur Reparatur vorbeibringt, die zeitlebens kostenlos gewährt wird. Man muss ja nicht gleich unabsichtlich mit dem Auto drüberfahren, was auch schon geschehen ist. „Das meiste“, sagt Andreas Kirchtag, „passiert beim Aufspannen.“ Wenn man den Schirm dabei in die Höhe hält, was nahezu jeder reflexartig macht, können sich die Gabeln ineinander verdrehen. Lieber schräg nach unten halten, so viel Zeit muss sein, damit man lange eine Freude an dem handgemachten Teil hat.
Wann immer ein echter Kirchtag unten im Geschäft verkauft wird, wird der Chef oben sofort freudigst angefunkt. Und wenn es seine Zeit erlaubt, drückt Andreas Kirchtag dem neuen Besitzer noch persönlich die Hand, bevor dieser stolz und erhobenen Hauptes in die Getreidegasse entschwindet. Zumeist unter der wohlgeformten Stoffkuppel, die aus der flatternden Masse der Plastikschirme wie ein stabiles Dach herausblitzt, an dem die Regentropfen in verspieltem Tanz herunterperlen. „Regenwetter“, sagt Andreas Kirchtag, „ist nämlich immer noch unser bester Verkäufer.“
Kirchtag Schirme:
Getreidegasse 22, 5020 Salzburg
Tel.: +43/662/84 13 10
www.kirchtag.com
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