Kannst dich noch erinnern? Die Pelzmütze
Harald Nachförg erinnert sich in seiner Kolumne an das in den 70er Jahren beliebte Fell am Kopf.
Wissen Sie, wer der Mensch mit dem breitesten Stimmumfang der Welt ist? Ichwäre da nie draufgekommen, bin aber ein großer Freund von Wissen, das gemeinhinals unnütz gilt. Ich sauge es auf und weiß jetzt zum Beispiel, dass das Quakeneiner Ente kein Echo erzeugt. Oder dass ein Mensch etwa 84 Millionen Mal imJahr zwinkert. Oder dass das längste deutsche Wort, in dem kein Buchstabezweimal vorkommt, „Heizölrückstoßabdämpfung“ ist.
Ja und nun erfuhr ich, dass der Mann, der die einzigartige Stimmbreite vonviereinhalb Oktaven besaß, Ivan Rebroff war. Der konnte sich vom tiefsten Bassin die schrillste Falsettlage hinaufschrauben. Sein Publikum tobte dann vorBegeisterung, und auch die Eltern, der Opa und die Oma waren tief beeindruckt,wenn sie vor dem Fernseher saßen und ihn in der „Peter Alexander Show“, bei derAnneliese Rothenberger oder sonst einer der großen Samstagabendgalas hörten. Michfaszinierte der Zwei-Meter-Riese zwar ebenso, doch mehr wegen seinesKosakenkostüms und der mächtigen Fellmütze. Dass auch ich eines Tages so ein Ungetümtragen sollte, hätte ich mir im Traum nicht gedacht.
Doch dann, Anfang der 1970er-Jahre, war ich dazu verdammt. Wie übrigensalle meiner Freunde damals. Wir etwa Dreizehnjährigen fanden das Teil zwar überhauptnicht lässig, wurden aber insofern zwangsbeglückt, als Pelzmützen bei unserenVätern plötzlich der letzte Schrei waren und wir ihnen offenbar modisch umnichts nachstehen sollten.
Hören Sie hier Harald Nachförg im Gespräch mit Hut-Unternehmer Leo Nagy
Warum sie diese Kopfbedeckung so heiß fanden, ist mir bis heute ein Rätsel.Vielleicht ermöglichten ihnen die Dinger einfach nur, endlich der Haarprachtihrer Frauen etwas entgegenzusetzen. Die toupierten sich ja seinerzeit waghalsigeTürme auf oder steckten sich künstliche Haarteile in die Frisur, nur um nochmehr Mähne zu zeigen. Für den licht oder gar schon kahl gewordenen Mann hätteda so eine voluminöse Fellmütze etwas von Gleichberechtigung gehabt. Aber soeinfach war die Sache nicht. Schließlich hatten sie auch Wuschelköpfe auf.
Egal, jedenfalls verbreiteten sich die Mützen auch in unserem Dorf schnellwie Schnupfenviren. Anfangs merkte man das noch nicht. Dass die Frauen,zumindest die vom Arzt, vom Apotheker und vom Metzger, Pelzmützen trugen, wennes kalt wurde, war normal. Dass aber plötzlich sogar der alte Edi, derTankwart, eine aufhatte, sorgte doch für Verwunderung. Mitunter sogar für Neid.Und schon fuhr der Nächste in die Stadt, um eine zu kaufen. Es dauerte nichtlang, da sah man kaum mehr Hüte im Dorf. Man wähnte sich in Russland,wenngleich bei uns einer genauso wenig Russe war wie der in Berlin geborene Rebroff.Aber das störte ja nicht. Stolz wurden Mützen aller Art zur Schau gestellt.Wuchtige, die den Träger als Schrumpfkopf erscheinen ließen, ebenso wie knappeModelle, die aussahen wie ein sitzen gebliebener Gugelhupf. Man stülpte sichGekräuseltes à la Persianer über oder Flauschiges, wie ein mit Federnausgelegter Adlerhorst. Welches Exemplar man auch präferierte, eines durfte manauf keinen Fall: die Ohrenschützer runterklappen.
Da wäre man wie ein Trottel dagestanden. Als cool galt das erst Jahrzehnte später, im Jahr 1996, als die Polizeichefin Marge im Kultfilm „Fargo“ es so machte und der Pelzmütze zu einem kurzen, heftigen Revival verhalf. Dazwischen war das Ding ebenso plötzlich wieder verschwunden, wie es gekommen war. Man sah die Kopfbedeckung nur mehr vereinzelt. An Auslandskorrespondenten des Fernsehens in Moskau zum Beispiel. Gut, dort ist es auch bitterkalt im Winter. Am 17. Januar 1941 zum Beispiel wurde mit minus 42 Grad der bis heute gültige Rekordwert gemessen. So viel also zur Pelzmütze, zu Ivan Rebroff und unnötigem Wissen.
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