Anzeige

Brauchtum

Die Bedeutung unserer Sprichwörter

Hält jemand, der einen Vogel hat, daheim tatsächlich Federvieh? Warum soll man sich etwas hinter die Ohren schreiben, um es sich zu merken? Und wieso nennt man einen Gauner auch Schlitzohr? Eine sprachliche Spurensuche.

Bedeutung unserer Sprichworte
Foto: Andreas Posselt
Wir gehen der Bedeutung beliebter Sprichworte auf den Grund.

Bunt treibt es die Sprache. Da beginnt die Ehe mit „Flitterwochen“, was nach Glitzer und Tand klingt und doch nichts damit zu tun hat. Und wenn etwas eine echte Unverschämtheit ist, dann „geht es auf keine Kuhhaut“. Der eine „ist blau“, und der andere „macht blau“. Wir sprechen von „Landpomeranzen“, „Faulpelzen“ und „Schlitzohren“, bedauern „Pechvögel“, „arme Kirchenmäuse“ und die, die „am Hungertuch nagen“, und müssen manchmal voller Bedauern mitansehen, wie unsere „Felle davonschwimmen“.

Der Alltag prägt unser Vokabular

Anzeige

Das ganze „Kuddelmuddel“ ist manchmal kaum zu durchschauen. Doch wie viele andere Redewendungen und Wörter des Deutschen haben auch diese Ausdrücke ihren Ursprung in altem Handwerk und Handel, in mittelalterlichen Rechtsbräuchen und Zunftordnungen, in verloren gegangenen Sitten oder in den Gegebenheiten des Alltagslebens früherer Zeiten. Deshalb führt eine sprachliche Spurensuche auch immer in die Kultur- und Sozialgeschichte. Und was dabei zutage tritt, ist hoch spannend und anregend, wie die Herkunftsgeschichten der folgenden Begriffe und Wendungen zeigen.

Ein Pechvogel sein

  • Klebriges Pech wurde schon vor Tausenden von Jahren zum Abdichten und Schmieren, aber auch für Fackeln und Brandpfeile benutzt. Für die Gewinnung der teerigen Substanz aus Baumharz – unter Luftabschluss und großer Hitze – mussten wahre Höllenfeuer entfacht werden.

  • Die Gleichsetzung von Hölle, Unglück und Pech lag da nahe, die Bedeutungsübertragung auf Menschen, die Unglück haben, auch.

  • Wie dann der Vogel dazukam? Früher fing man Vögel, indem man Zweige mit Pech bestrich, an dem sie kleben blieben.

Servus Mondpost
Sprichworte, Vogel haben
Foto: Andreas Posselt

Flitterwochen

Mit glänzendem Flitter und Glitzer haben die Flitterwochen sprachgeschichtlich nicht das Geringste zu tun.

  • Die Bezeichnung für die ersten Wochen einer Ehe geht vielmehr auf das mittelhochdeutsche Wort vlittern zurück, das „flüstern, kichern, liebkosen“ bedeutet. Die Flitterwochen sind also, und das schon seit dem 16. Jahrhundert, die Kose- und Kicherwochen.

  • Mit der Vergänglichkeit des Hauptworts Flitter, das wertlosen Schmuck und Tand bezeichnet, wurden sie erst später assoziiert, als das alte Verb vlittern untergegangen war.

Sprichwörter, Flitterwochen
Foto: Andreas Posselt

Einen Vogel haben

  • Der hat einen Vogel, sagt man und meint, dass jemand nicht recht bei Verstand ist. Der Vogel kommt in dieser Wendung wohl deshalb so uncharmant zum Handkuss, weil sich laut einem alten Volksglauben in den Köpfen geistig Verwirrter Vögel oder andere kleine Tiere einnisten und ihnen das Hirn vernebeln.

  • Auch Falknern, die allzu sehr mit dem zeitaufwendigen Abrichten ihrer Raubvögel für die Jagd beschäftigt waren, sagte man früher einen Vogel nach. Manche von ihnen widmeten ihren Vögeln wohl so viel Zeit, dass sie auf ihre Mitmenschen mehr als verschroben wirkten.

Die Landpomeranze

  • Die Landpomeranze ist eine Erfindung der Studentensprache der Biedermeierzeit in Süddeutschland. Die von der frischen Luft geröteten runden Wangen der Mädchen vom Land erinnerten die stubenhockenden städtischen Studiosi an frische Pomeranzen, also Bitterorangenfrüchte.

  • In Wien hießen und heißen die Provinzmädeln mit den roten Backen, denen man gern auch ein schlichtes Gemüt unterstellt, „Landpomerantschn“.

Sprichworte, Landpomeranze
Foto: Andreas Posselt

Am Hungertuch nagen

  • Hungertuch hieß der reich mit Bildern verzierte Stoff, der im Mittelalter zur Fastenzeit den Altar verhängte und die Gläubigen zum Verzicht und Bußetun anhielt.

  • Später, im 16. Jahrhundert, entstanden aus dem alten Brauch, das „Hungertuch zu nähen“, die ersten Redewendungen mit übertragener Bedeutung: In ihnen deutete man das religiöse Fasten zu einem Leiden an Not und Hunger um. Und weil man ja wenigstens irgendetwas zwischen den Zähnen haben musste, wurde aus dem Nähen mit der Zeit ein Nagen am Hungertuch.

Der Firlefanz

Firlefanz war der Name eines heiteren mittelalterlichen Springtanzes. Das lustige Gehopse zu Musikklängen wurde umgedeutet zum Firlefanz in seiner heutigen Bedeutung als Unfug, dummes Zeug und läppische Gaukeleien.

Das Schlitzohr

  • Die Herkunft des Wortes Schlitzohr für einen durchtriebenen Menschen führt zurück ins komplexe Gefüge mittelalterlicher Handwerkszünfte und ihrer strengen Vorschriften und Ehrenkodizes. Bei Verstößen gegen sie konnte der Meister dem Gesellen den Ohrring, der häufig zur Tracht gehörte, aus dem Ohr reißen und ihn damit aus der Zunftgemeinschaft ausschließen.

  • Die geschlitzte Narbe, die davon blieb, kennzeichnete den Missetäter für jedermann als wenig vertrauenswürdig.

  • Auch die allgemeine mittelalterliche Rechtsprechung ahndete Betrügereien mit dem Einschlitzen des Ohres.

Sprichworte, Schlitzohr
Foto: Andreas Posselt

Sich etwas hinter die Ohren schreiben

Rau waren die Sitten und Rechtsbräuche, als Papier noch ein seltenes Luxusgut war!

  • Wollten zwei Menschen im Mittelalter einen Vertrag schließen – besonders einen über Grundgrenzen –, nahmen sie zum Abschluss vor Ort sogenannte testes per aures tracti mit, also „an den Ohren gezogene Zeugen“.

  • Bei diesen handelte es sich meist um Burschen, die an jedem Grenzstein so erinnerungswürdig an den Wascheln gezogen, gekniffen oder geohrfeigt wurden, dass sie auch noch Jahrzehnte später genau über die vereinbarten Grundgrenzen Auskunft geben konnten.

Auf den Hund kommen

  • Wenn man auf den Hund kommt, ist man arm (dran). Ganz klar ist die Herkunft der Redewendung nicht. Sie könnte damit zu tun haben, dass der Hund nicht nur der Freund des Menschen ist, sondern von diesem manchmal auch als getretene, geschundene und geprügelte Kreatur wahrgenommen wird.

  • Vielleicht steht auch ein alter Rechtsbrauch damit in Zusammenhang, bei dem Übeltäter zur Strafe öffentlich einen Hund herumtragen mussten.

  • Auf den Hund kamen aber auch viele, die ihr Geld zu Hause in einer Truhe aufbewahrten, auf deren Boden – zur symbolischen Bewachung – häufig ein Hund gemalt war. Wurde der sichtbar, war man pleite und somit auf den Hund gekommen.

Gewieft sein

  • Der Gewiefte ist schlau und gerissen und weiß es sich stets zu richten.

  • Das Wort hat mittelhochdeutsche Wurzeln. Wifen hieß „winden“ oder „schwingen“ und gehört zur selben Wortgruppe wie der Wipfel eines Baumes, der ja mit jedem Luftzug hin und her schwingt.

  • Der Gewiefte macht es nicht anders: Er richtet sich flexibel nach dem für ihn günstigsten Wind aus.

Auf keine Kuhhaut gehen

  • Die Menschen des Mittelalters glaubten, dass der Teufel über die Verfehlungen eines jeden von uns Buch führe – und zwar auf einem aus Tierhaut hergestellten Pergament. Und dieses Sündenregister würde dem Sterbenden im Angesicht des Todes vom Teufel vorgehalten.

  • Wenn nun etwas auf keine Kuhhaut mehr geht, also sogar diesen großzügig bemessenen Rahmen sprengt, dann hat sich eine unerhörte Menge an Sünden angesammelt.

  • Die frühesten Nachweise dieser alten Redewendung, die eine große Unverschämtheit bezeichnet, stammen schon aus dem 13. Jahrhundert.

Sprichworte, auf keine Kuhhaut gehen
Foto: Andreas Posselt

Das Kuddelmuddel

  • Das herrlich für sich sprechende Kuddelmuddel, in dem das gemeinte Durcheinander schon lautlich anklingt, besteht aus zwei umgangssprachlichen Ausdrücken aus dem Niederdeutschen: koddeln oder kuddeln für „nicht sauber waschen“ und Modder für „Schlamm“ oder „Schmutz“.

  • Und vermischt man die beiden, kann ja nur ein Wirrwarr dabei herauskommen.

Der Faulpelz mit dem dicken Fell

Pelz und Fell sind eng verwandte Wörter. Im Mittelalter war zudem oft von Fell oder Pelz die Rede, wenn die menschliche Haut gemeint war. War nun jemand so träge, dass sich vom langen Herumliegen genauso gut eine faulige Schimmelschicht auf seiner Haut bilden könnte, sprach man ab dem 18. Jahrhundert von einem „Faulpelz“. Störte diesen die Bezeichnung nicht weiter, hatte er „ein dickes Fell“, womit nichts anderes als eine dicke Haut und ein unempfindliches Gemüt gemeint ist.

Faulpelz, Sprichworte
Foto: Andreas Posselt

Blau sein und blaumachen

  • Am Montag hatten die Gesellen früher traditionell ihren freien Tag, und an diesem tranken sie gern mal einen über den Durst. Auch die Färber, die mithilfe von Färberwaid und Urin Stoffe blau färbten, hatten einen Tag Pause, wenn der Stoff in der Lauge langsam seine endgültige Farbe annahm. Und während sie warteten, frönten sie ebenso wie die Gesellen dem Müßiggang und dem Alkohol. Man machte also blau und wurde dabei blau.

  • Auch das Wort lau aus dem Rotwelsch, das „böse“ oder „schlecht“ bedeutet, spielt in die Ausdrücke mit hinein. Es entstammt dem Jiddischen und kann durch ein vorangestelltes b noch zu „blau“, also „sehr schlecht“, verstärkt werden. Die „blauen“ Redewendungen im Deutschen enthalten also stets auch gleich die Kritik an den beschriebenen Zuständen und Verhaltensweisen.

Jemandem den Garaus machen

  • Mit Glockenläuten und dem Ruf des Nachtwächters „Gar aus!“, was so viel bedeutete wie „Ganz aus!“, wurde seit dem 15. Jahrhundert im süddeutschen Raum das Ende des Tages und all seiner Vergnügungen – vor allem der Tanzveranstaltungen – angezeigt.

  • In Nürnberg gab es dafür sogar eine eigene „Garausglocke“. Wird heute jemand getötet und erreicht er damit gleichsam das Ende seiner Tage, wird ihm also im

Sprichworte, Garaus machen
Foto: Andreas Posselt

Jemandem auf den Zahn fühlen

Fühlt man jemandem auf den Zahn, lässt man sich von seiner Fassade nicht täuschen.

  • Der traditionelle Pferdehandel steht Pate für diese Redewendung. Denn mit einem alten Gaul, den ein gewitzter Verkäufer mit allerlei Tricks auf jünger getrimmt hatte, konnte man einen erfahrenen Käufer nicht täuschen. Der kluge Pferdehändler befühlte nämlich immer die fälschungssicheren Mahlzähne des Tieres. Ihr Abnützungsgrad verriet ihm dessen genaues Alter. Umgekehrt schaut man natürlich auch genau deswegen einem „geschenkten Gaul nicht ins Maul“.

Sprichworte, auf den Zahn fühlen
Foto: Andreas Posselt

Seine Felle davonschwimmen sehen

Wer sagt, dass er seine Felle davonschwimmen sieht, meint damit das Zerrinnen seiner Träume und Hoffnungen.

  • Tatsächlich sahen Gerber, die die von ihnen bearbeiteten Tierhäute stundenlang an Flüssen, Bächen oder Kanälen spülen und wässern mussten, immer wieder eines ihrer Felle davonschwimmen, wenn sie nicht achtgaben. Ziemlich wahrscheinlich stammt der Ausdruck also aus der Sprache der Loh- oder Rotgerber.

Arm wie eine Kirchenmaus

  • Die Kirchenmäuse sind gegenüber Mäusen, die in anderen Gebäuden leben, arg im Nachteil. Denn in Kirchen gibt es keine Küchen und Speisekammern, in denen die kleinen Nager leicht etwas zum Knabbern finden könnten.

  • Und auch achtlose Esser, denen der eine oder andere Brösel für die Mäuse auf den Boden fiele, sind eher selten. Ist jemand also „arm wie eine Kirchenmaus“, dann ist er wirklich ganz besonders arm und mittellos.

Sprichworte, arme Kirchenmaus
Foto: Andreas Posselt
Anzeige