Hausbesuch in der Schmiedleithen
Verwunschen, verzaubert, wie aus der Zeit gefallen – ehe sie zu diesen blumigen Worten finden, verschlägt es Besuchern oft erst einmal die Sprache, wenn sie vor dem mächtigen Ensemble aus Herrenhaus, Stallungen, Schupfen und anderen Nebengebäuden stehen. Einst lebten in der Schmiedleithen – wie überall entlang der Steyr – die mächtigen „Schwarzen Grafen“, in deren Hammerwerken Sensen, Messer, Sicheln und andere Gebrauchsgegenstände her gestellt wurden. Über vier Jahrhunderte dröhnten unablässig die Hämmer, doch heute liegt alles still und starr unter der zuckrigen Schneedecke.
Auch Christof Zeitlingers Ahnen waren Hammerherren. Viele Generationen seiner Familie haben seit dem 17. Jahrhundert in der Schmiedleithen gelebt. Doch im Unterschied zu anderen ehemaligen Hammerherrenhäusern, die heute Museen und Veranstaltungsorte sind, ist das Zeitlinger’sche Anwesen noch immer ein lebendiger Familienwohnsitz.
Wohnen mit großer Vergangenheit
Wer sich ihm nähert, sieht nicht ein einzelnes Haus, sondern ein ganzes Dorf, das sich entlang des Baches erstreckt. Doch im Gegensatz zu früher treibt dessen Wasser keine Hämmer mehr an, und das gesamte Ensemble wird nur mehr von einer Kleinfamilie bewohnt. Auch sieht man heute keine zupackenden Sensenschmiede mehr, stattdessen stapft Enkerl Maxi an der Hand seiner „Großomi“ Ilse fröhlich durch den Schnee und genießt die Freiheit von Garten und Haus.
Wie die meisten Hammerherrenhäuser ist auch das Zuhause der Familie Zeitlinger recht imposant. Das hohe, steile Dach und die vielen Nebengebäude geben ihm etwas Herrschaftliches, Schlossartiges. Im Lauf der Zeit durchlebte das Herrenhaus in der Schmiedleithen eine wechselvolle Geschichte. Nachdem Christof Zeitlingers Vorfahren im Jahr 1572 den Grundstein dazu gelegt hatten, wurden hier mehr als 400 Jahre lang Sensen erzeugt. Das bescherte der Region und den Hammerherren Wohlstand, der sich auch in weitläufigen Anlagen für die Familie und die Arbeiter widerspiegelte. Die Häuser wuchsen und veränderten sich, über Jahrzehnte und Jahrhunderte wurde immer wieder zu- und angebaut.
Sein heutiges Gesicht verdanken Haus und Garten den Großeltern von Christof Zeitlinger, die das alte Herrenhaus in den 1920er-Jahren umbauten und renovierten. Die baulichen Veränderungen führten dazu, dass es heute keine zwei Zimmer gibt, die in dieselbe Himmelsrichtung schauen. Alles ist verwinkelt und seltsam verschachtelt, was allerdings viel zum Charme des Hauses beiträgt.
„Das Haus hat viel zu erzählen“, sagt Christof Zeitlinger, „und auch wenn die Türrahmen hier schmerzhaft niedrig und die Türen immer etwas undicht sind, die Atmosphäre in so einem alten Haus ist wirklich einzigartig.“ Der Hausherr wurde hier geboren und ist, wie er sagt, „nie ausgezogen“. Aber eigentlich bewohnen Ilse, die auch aus der Region stammt, und Christof das Anwesen erst seit drei Jahren ständig.
Nach drei Jahrzehnten heimgekehrt
Dreißig Jahre lebten die Zeitlingers mit ihren zwei Töchtern in Ilses Haus in Grünburg. Als Christof vor drei Jahren in die Pension wechselte, verkaufte Ilse das Haus. Die beiden bezogen nun endgültig den Familiensitz, der vorher eher nur an den Wochenenden genutzt wurde.
Doch schon immer herrschte in dem alten Gemäuer das pralle Leben. Etwa als Christof Zeitlingers Großvater Rudolf, der letzte „Schwarze Graf“, hier seinen 100. Geburtstag feierte. Da tummelten sich an die 200 Gäste in dem verwinkelten Haus.
Auch die Kunst war schon immer ein Thema. Als das Haus seinerzeit umgebaut wurde, beschäftigte Christofs Großmutter – von der ganzen Familie nur „die Mama“ genannt – renommierte Handwerker und Künstler. Einer der vielen schönen Kachelöfen stammt vom Wiener Bildhauer und Keramikkünstler Michael Powolny.
Ilse führt das Haus im Sinne der Schwiegergroßmutter weiter. Größere Veränderungen sind nicht angedacht, „was jetzt herinnen ist, wird auch bleiben“, sagt die Hausherrin. Doch gibt es auch in diesen historischen Räumen zumindest ein neuzeitliches Detail: Über dem Biedermeier-Esstisch spendet eine moderne Hängeleuchte aus Italien angenehmes Licht. „Die passt doch gut dazu“, meint Ilse und freut sich über den stilistischen Kontrast. Sie und ihr Mann folgen der Familientradition, beide lieben Teppiche und Bilder, bevorzugt die ihres Malerfreundes Erich Fröschl aus Steyr – „unser Haus und Hof Maler“. Seine Werke bevölkern neben vielen Familienporträts die Wohnräume.
Auf die Idee, Antiquitäten zu kaufen, kamen die Zeitlingers nie. Denn obwohl vieles aus dem Familienbesitz mit einer Tante nach Amerika ausgewandert ist, ist der Dachboden und Speicher noch immer voll mit interessanten Zeugen der Vergangenheit. Dort finden sich neben kleineren und größeren Möbelstücken auch Schränke mit altem Glas, Porzellan, Wäsche und Kleidern.
Im hinteren Haus, dem Stöckl, hat Ilse Künstlerzimmer und Bibliothek eingerichtet. Bibliophile Sammlungen stehen hier neben vielen Erinnerungsstücken und warten auf staunende Besucher, um sie auf eine kleine Zeitreise einzuladen. Wenn es ein gelungenes Beispiel für lebendige Tradition gibt, dann ist es hier zu finden, in diesem stillen, versteckten Tal mit seiner großen Vergangenheit.
Buchempfehlung: „Herrenhäuser in der Eisenwurzen: Kulturelles Erbe einer Region“, von Bertl Sonnleitner, Landesverlag.
(Der Hausbesuch fand im Jänner 2014 statt.)
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