Nachspeise

Omas Kirschenstrudel

Klaus Kamolz verrät uns heute das Rezept für den Kirschstrudel seiner Villacher Oma, die, um es allen recht zu machen, den Strudel immer in ein Kinderende mit und ein Erwachsenenende ohne Kerne geteilt hat.

Omas Kirschenstrudel, Omas Kochbuch, Staubzucker, Haselnüsse, Backblech, Teig, Tischtuch, Backpapier
Foto: Ingo Eisenhut
 

Aus dem kleinen Wanderzirkus, der auf einer Gstättn am Stadtrand von Villach seine Zelte aufgeschlagen hat, ist ein junger Yak entkommen. Am nächsten Tag ist in der Zeitung gestanden, wer den kleinen Grunzochsen gesehen hat, soll doch bitte im Zirkus anrufen. Festnetz. Viertelanschluss. Ich habe die Geschichte selbst gelesen, durch einen zarten, hellgelb schimmernden Schleier hindurch.

„Aber bitte mit Kerne!“

Es war zur Kirschenzeit, irgendwann Ende der 1960er-Jahre. Omi stand in unserer Villacher Küche und machte Bewegungen, als würde sie gerade aufbetten und die Tuchent sacht aufs Leintuch sinken lassen. Aber es war Strudelteig, den sie geschickt über die vier Tischkanten dirigierte.

Dann lüpfte sie das pergamentähnliche Teigtuch, schob die „Kleine Zeitung“ darunter und sagte: „Schau, da kannst lese. Durch de Strudelteig muss ma d’ Zeitung lese könne.“

Omi, mütterlicherseits übrigens, sprach noch im Dialekt deutschsprachiger Volksgruppen auf dem Balkan, Donauschwäbisch diesfalls. Im Banat, einer bäuerlich geprägten Region im Grenzgebiet Ungarns, Rumäniens und des damaligen Jugoslawien, hatte sie gelernt, alles selbst zu machen.

In späten Jahren, als all die Mühsal ihr einen Gehstock in die Hand zwang, blühte sie – früh verwitwet und bei uns im Haus lebend – in der Küche noch richtig auf.

Dann stand der Stock vergessen irgendwo im Eck, und Omi krendelte in ihrem geblümten Kittel Kasnudeln, rollte Sauerkrautpletschen zu Sarma-Rouladen oder erschuf ein Portfolio an Weihnachtskeksen, von dem die Familie heute noch zehrt. „Ich weiß nicht, aber meine schmecken anders“, sagt meine Mutter jedes Jahr, wenn sie Omis Kekse nachbäckt.

Die Kirschen für den Strudel lieferte der andere Familienzweig, der aus einer völlig anderen Welt zu kommen schien. Ich weiß nicht, ob ich Opapa väterlicherseits, einen pensionierten Klagenfurter Magistratsbeamten mit böhmischen Wurzeln, je anders gesehen habe als in Anzug und Krawatte. Selbst bei der Kirschernte trug er ihn.

Der niedrigste Ast am Baum im Garten seiner Klagenfurter Doppelhaushälfte, der üppig trug, war so hoch, dass man sich als Bub aus dem Stand wie ein Faultier an ihn hängen und mit einer Hand nach den Kirschen greifen konnte. Dort hingen wir dann, mein Bruder und ich, und spuckten Kerne gegen das meterweit entfernte Garagentor aus Blech. Jedes Kloink! ein Punkt; wir zählten wie beim Tischtennis: bis 21, aber mit Bauchweh.

Den Korb voller Kirschen verwandelte Omi daheim in Kompott, Kuchen und Strudel. „Aber bitte mit Kerne!“, bettelten mein Bruder und ich mit lieblingsenkelhaftem Augenaufschlag. Und weil die Omi uns keinen Wunsch abschlagen konnte, teilte sie den Strudel in ein Kinderende mit und ein Erwachsenenende ohne Kerne. Aber spucken durften wir nur draußen. Da hat sich nicht einmal die Omi gegen die von den Eltern geforderten Tischmanieren durchsetzen können.

Zum Autor: Klaus Kamolz war lange bei Servus für Küchenbelange zuständig, woran seine Omi, die heuer 110 Jahre alt geworden wäre, nicht unschuldig ist. Sie weckte seinen Appetit aufs Kochen schon im Volksschulalter.

Dieses Rezept erschien in Servus in Stadt & Land im Juli 2022 in der Rubrik „Aus Omas Kochbuch“.

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Menge Zubereitungszeit Gesamtzeit
1 Stück 55 Minuten 1:30 Stunden
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Für den Strudelteig
280 g glattes Mehl
4 EL Sonnenblumenöl
100 g lauwarmes Wasser
1 Ei (Größe M)
1 Prise Salz
griffiges Mehl zum Bestauben
150 g zerlassene Butter (zum Bestreichen)
Für die Füllung
1 kg Kirschen
4 Eier (Größe M)
80 g Staubzucker
abgeriebene Schale von 1 Biozitrone
1 Prise Zimt und Nelken
20 g glattes Mehl
80 g geriebene geröstete Haselnüsse
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Zubereitung
  1. Die Zutaten für den Teig zu einem weichen, geschmeidigen Teig verkneten, mit etwas Öl einpinseln. Mit einer umgedrehten Schüssel bedecken und 30 Minuten bei Raumtemperatur rasten lassen. Derweil den Backofen auf 200 °C Ober-/Unterhitze vorheizen.

  2. Kirschen waschen und behutsam trocknen. Auf Wunsch entkernen oder nicht.

  3. Eier trennen und Dotter mit 30 g Staubzucker, Zitronenschale und Gewürzen hellschaumig aufschlagen.

  4. Eiweiß mit übrigem Staubzucker zu einem geschmeidigen Eischnee schlagen.

  5. Eischnee und Dottercreme mit Mehl und Haselnüssen luftig verrühren.

  6. Auf einem Tisch ein großes Strudeltuch ausbreiten und mit griffigem Mehl bestauben. Strudelteig zu einem 1 cm dicken Rechteck ausrollen und dann behutsam über die Handrücken beider Hände hauchdünn ausziehen.

  7. Strudelteig mit etwas zerlassener Butter gleichmäßig besprenkeln und auf das vordere Teigviertel die Haselnussmasse streichen. Dann die Kirschen darauf verteilen.

  8. Mithilfe des Tuches zu einem Strudel einrollen. Teigenden zurechtschneiden und unterfalten. Strudel vorsichtig auf ein gefettetes Backblech heben und mit reichlich Butter bestreichen. Im Ofen auf mittlerer Schiene ca. 35 Minuten backen und noch warm mit Staubzucker bestreuen.

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