Stift Melk erleben: Auf der Suche nach dem Paradies
Einen Tag in der Kutsche hat Kaiserin Maria Theresia auf sich genommen, um Stift Melk einen Besuch abzustatten. Dreimal hat sie das getan. Und wäre das unübersehbare Bauwerk im 18. Jahrhundert von Wien aus so schnell und unkompliziert erreichbar gewesen wie heute, dann hätte sie es wohl noch öfter getan. Schließlich gibt es im Stift selbst so viel zu entdecken. Und der Garten erst. Zauberhaft!
Gerade mal eine Stunde hat sie gedauert, die Zugfahrt von Wien nach Melk zu unserer Servus-Sommerfrische. Und nur fünf Gehminuten vom Bahnhof in die mit alten Pflastersteinen gespickte Altstadt. Wahrscheinlich wäre es noch rascher gegangen, aber der Weg zu unserer Unterkunft – dem geschichtsträchtigen Rathauskeller im Zentrum – führt durch das sehenswerte Cottageviertel, in dem die erste Mustervilla „Villa Seeböck“ oder die „Villa Loos“ von Otto Wagner Schüler Josef Plecnik zu bestaunen sind.
Der erster Ausflug führt uns auf die Anhöhe des Stiftes Melk. Ein Stück des malerischen Weges werden wir von Stadtdackel Amadeus und der getigerten Stiftskatze begleitet. Aber auch ohne sie wäre der richtige Weg leicht zu finden gewesen – im Boden sind goldene Pflastersteine eingelassen, die uns bis zum beeindruckenden Stiftsportal führen.
Ursprünglich als Gottesburg gebaut und den Benediktinermönchen gestiftet, ist das heutige UNESCO Weltkulturerbe nahezu komplett öffentlich zugänglich und beherbergt außerdem Österreichs älteste Schule innerhalb seiner historischen Mauern. 900 Schülerinnen und Schüler und 90 Lehrerinnen und Lehrer beleben mit 27 Geistlichen das barocke Gebäude.
Auf unserem Rundgang wird uns der junge Pater Ludwig begleiten, der nicht nur Religions- und Geschichtslehrer ist, sondern sich seit diesem Jahr auch verantwortlich für Kultur und Tourismus zeichnet.
Mit Blick auf Schimmel- und Pulverturm queren wir den Torwartlhof, in dem früher kaiserliche Kutschen geparkt wurden. Die Benediktihalle gibt einen ersten Eindruck von den zahlreichen Fresken, die uns auf dem Weg Richtung Stiftsmuseum begleiten werden.
Wir haben Glück: Aktuell wird das Melker Kreuz gezeigt, das normalerweise nur am Melker-Kreuz-Festtag Mitte Februar zu sehen ist. Über und über mit funkelnden Edelsteinen besetzt, verbirgt es einen wertvollen Schatz: Schraubt man die blauen Edelsteine (übrigens das erste Rechtsgewinde der Geschichte) heraus, entdeckt man Holzfragmente des Kreuzes Christi.
Besucher des Stifts sind herzlich eingeladen, an Gebeten teilzunehmen (möglich ist dies aber nur in der Früh in der Sommersakristei und ab Juli mittags in der Stiftskirche) und den Mönchen Fragen zu stellen. Die Gastfreundschaft bekommen wir bei unserem Treffen mit Abt Georg zu spüren. Wir finden heraus, dass er unsere Kollegin Lena gefirmt hat – darauf stoßen wir gleich mit dem schmackhaften Likör „Abt Georgs Magensonne“ an. Die Gemeinschaft und Gastfreundschaft waren bereits im 18. Jahrhundert wichtige Grundwerte und werden bis heute gelebt.
Adelige Gäste – wie Maria Theresia oder Papst Pius VI. – übernachteten auf ihren Reisen im Kaisertrakt. Marie Antoinette blieb eine Nacht, bevor sie Richtung Frankreich und ihrer scheinbar verheißungsvollen Zukunft entgegenreiste. Napoleon schlief nach Überlieferungen nicht nur hier, sondern leerte auch den dazugehörigen Weinkeller.
Heute geht es rund um Stiftsmuseum und -bibliothek meist geruhsamer zu. Nur zu besonderen Feiertagen wie dem Kolomani-Kirtag am 13.10. prosten sich Besucher mit Stifts-Kräuterlikören gerne zu. Alles rein zum Wohle der Gesundheit versteht sich! Das müssen wir natürlich gleich probieren – und gehen ins nahegelegene Melker Stiftsrestaurant Teufner.
Am Weg werfen wir noch einen Blick in die hauseigenen Werkstätten. In Tischlerei und Malerei werden stetig Möbel und Fenster repariert. Sisyphus hätte mit dem Stift seine wahre Freude - bei 1.365 Fenstern und 2,2 ha Dachfläche ist immer etwas zu tun, erzählt Baudirektor Gottfried Fuchs. Außerdem können sich die geschickten Handwerker mit dem einen oder anderen Kunstwerk, urigen Sitzgelegenheiten oder sogar dem Bau einer Waldbühne kreativ im Stiftgarten austoben.
Das Stiftsrestaurant
Im Melker Stiftrestaurant stärken wir uns mit Klostergartensalat und Koloman-Rotkraut-Rouladen mit Holunder-Creme. Traditionelle österreichische Küche, wie Schnitzel, Tafelspitz und Gulasch ist natürlich auch zu haben. Ganz neu ist die Frühstückskarte, auf der sich „Adam ohne Eva“, eine „Himmlische Versuchung“ oder „Göttlicher Genuss“ finden.
Und wenn alles so gelingt, wie es sich Pater Ludwig und Wirt Gerhard Teufner vorstellen, wird es im Sommer vom Stiftrestaurant ausgestattete Picknick-Ausflüge in den Stiftgarten geben. Bevor es auch uns in eben diesen zieht, möchten wir noch die Bibliothek besichtigen.
Die Bibliothek
In der Bibliothek treffen wir auf Pater Gottfried, er ist schon über vierzig Jahre Herr über die eindrucksvolle Sammlung. Wie er erzählt, war diese, als er sie 1980 übernommen hat, verwahrlost. Erst mit viel Fleiß und stetiger Arbeit wurde sie zu dem, was sie heute ist. Steht man in dem Prunksaal mit seinen fein säuberlich aufgereihten prachtvollen Bücherbänden, ist es kaum anders vorstellbar.
Wir staunen über kunstvolle Fresken, üppige Schnitzereien und historische Globen. Dabei ist nur ein kleiner Teil der prächtigen Sammlung des Stiftes darin zu sehen. Über 100.000 Bände wurden seit seiner Gründung versammelt, darunter Bücher von unschätzbarem Wert. Besonders stolz ist Pater Gottfried auf die über 1.800 historischen Handschriften, die sich teilweise bis ins 9. Jahrhundert zurück datieren lassen. Herzstück ist eine Teilabschrift des Nibelungenliedes aus dem 13. Jahrhundert. Wie passend, erzählt dieses doch unter anderem auch von Melk und Umgebung.
Neben sakralen Schriften und Aufzeichnungen vom Leben und der Arbeit im Kloster finden sich ganz praktische Bücher in der Sammlung. Ehrfürchtig dürfen wir ein Buch aus 1714 voller Schaubilder und Beschreibungen von allerlei Tieren bestaunen - das einen besonderen, ja richtiggehend originellen, Rat bei Tarantelbissen bereithält: Nur die richtige Melodie müsse man singen, um das Spinnengift unschädlich zu machen. Hoffentlich, denken wir uns, müssen wir diesen Geheimtipp nie auf seine Wirksamkeit prüfen.
Auch bei kleinen Wehwehchen findet man in der Stiftbibliothek Antworten aus dem frühen 18. Jahrhundert: Beeindruckt waren wir von einem Gesundheitsratgeber aus 1734, in dem Mittelchen gegen Schlafprobleme, stinkende Füße (sic!) oder Kopfschmerzen verraten werden - mit zum Teil für heutige Verständnisse abenteuerlichen Zutaten.
Im Paradiesgarten
Die Kräuter für die extravaganten Heilmittel sind mit Sicherheit im Stiftsgarten zu finden – und sie gedeihen dort prächtig dank dem „besonders sensiblen grünen Daumen“ von Andrea Edelbacher. Diesen sagt der Landschaftspflegerin Pater Martin nach, und er muss es wissen. Schließlich war der leidenschaftliche Gartenfreund federführend, als vor etwa 25 Jahren die völlig verwilderte Parkanlage mit viel Liebe zum Detail in Form gebracht wurde.
Früher auch mit dem Bereich Tourismus im Stift betraut, darf er sich nun, da diesen Part Pater Ludwig innehält, wieder vermehrt dem Garten widmen. Und da wird mit angepackt, Basilikum gepflanzt und philosophiert. Über das Paradies etwa. Inmitten eines sprechenden Steinkreises, der uns die Schöpfungsgeschichte erzählt, stellt er laut die Frage: „Wie sieht für Sie das Paradies aus?“ Und ja, es muss ein Garten, es muss Natur sein. Da sind wir uns einig.
Und schlendern weiter, vorbei an uralten Bäumen, bis zum südlich gelegenen Paradiesgärtchen von Andrea Edelbacher. Hier hat sie mit Blick über Melk 22 Beete nach einem Gedicht des Benediktiners Walafried Strabus (808–849) bepflanzt. Da finden sich im Laufe des Gartenjahres Polei- und Katzenminze, Lilie, Rose, Rettich und Andorn, Ambrosie, Kerbel, Liebstöckl, Schwertlilie und Fenchel, Schlafmohn, Sellerie und Muskatellersalbei, Flaschenkürbis oder Weinraute. Und viele andere, wie Mohn etwa, der so umsichtig gepflanzt wurde, dass bis in den November hinein seine beeindruckend farbkräftigen Blüten zu bestaunen sind.
Mit viel Hingabe kümmert sich Andrea Edelbacher auch um den Wassergarten: „Neue Welt“ heißt diese Insel, auf der Erdäpfel, Paprika, Mais, Sonnenblumen und andere aus Amerika importierte Pflanzen wachsen.
Am Eingang des Parks liegt ein zauberhafter Barockpavillon. „Kleines Belvedere“ heißt es, und wer den großen Bruder in Wien kennt, versteht warum. Wir genießen eine cremige Benediktiner-Torte in Schokoladenhülle, blicken in die englisch anmutende Gartenanlage mit Springbrunnen, Kugel-Ahorn und saftig grünem Buchsbäumchen. Und sehen den Maturantinnen und Maturanten zu, die sich fesch herausgeputzt gemeinsam mit Direktor Johannes Eichhorn und Abt Georg stolz für dieses eine Foto aufstellen, das sie in späteren Jahren gerne wieder in die Hand nehmen. Stand ihnen doch damals die Welt offen, die Suche nach ihrem persönlichen Paradies hatte gerade begonnen. Und wenn es nach Pater Martin geht, sollte die Suche nach diesem Sehnsuchtsort auch niemals enden.
Benediktinerstift Melk
Abt-Berthold-Dietmayr-Str. 1A
3390 Melk
Tel.:0043(0)2752-555-0
Gut zu wissen:
Ab Juli finden regelmäßig Sommerkonzerte in den Räumlichkeiten des Stift Melk statt.
Jeden Mittwoch im August können Gäste im Stiftspark zu verlängerten Öffnungszeiten verweilen und die lauen Sommerabende in der barocken Gartenanlage genießen. Verschiedene Themenabende erwarten die Besucher und Besucherinnen.
Direkt im Stift Melk kann man seit diesem Jahr die Stift Melk Card lösen: Die neue Saisonkarte bietet eine gute Möglichkeit, öfter zu kommen und das barocke Ensemble zu erleben und zu erkunden.
Das neue Kulturkuvert beinhaltet je eine Saisonkarte für den Besuch der Schallaburg und für das Stift Melk sowie einen Gutschein über 15 Euro, der für Outdoor-Veranstaltungen in der Wachauarena Melk eingelöst werden kann. Es kann über das Kartenbüro der Wachau Kultur Melk erworben werden.